1836 - Fratze des Unheils
dann noch einen, denn nun stand er vor dem Spiegel. Erneut wollte er sein Gesicht betrachten, aber das war nicht mehr möglich, denn er sah nicht mehr sich im Spiegel. Er sah wohl etwas, aber das war nicht er, sondern eine völlig andere und für ihn fremde Gestalt …
***
Eric Fischer hatte das Gefühl, als wäre ihm die Kehle zugedrückt worden. Der Schock traf ihn hart. Ein Schwindel erfasste ihn. Das Zimmer fing an sich zu drehen. Er suchte nach Halt, fand aber keinen, doch dann schaffte er es, sich wieder zu fangen und sich normal hinzustellen.
Jetzt war er in der Lage, einen erneuten Blick in den Spiegel zu werfen.
Er war nicht zu sehen. Es mochte an der Fläche liegen, die sich verändert hatte. Sie war eingetrübt, grauer geworden, auch irgendwie verschwommen, aber sie zeigte diese Gestalt, die keine Einbildung war, sondern echt.
Wer war es?
Konnte man von einem Menschen sprechen oder nur von einem Schatten oder einer Erscheinung? Es war durchaus möglich. Er glaubte nicht daran, dass er ihn anfassen konnte, sicher würde er zwischen seinen Fingern zerrinnen.
Außerdem gab es da noch den Spiegel, der zugleich ein Widerstand war.
Die Gestalt hatte die Umrisse eines Menschen. Da gab es den Körper, aber auch den Kopf, nur kein Gesicht, sondern eine Fratze. Die Umrisse hoben sich nicht besondern stark vom Hintergrund ab.
Aber für ihn stand fest, dass es diese Gestalt war, die Kontakt mit ihm aufgenommen hatte. So wenig sie auch einem normalen Menschen glich, sie war jedoch fähig, sich auf menschliche Weise in Erinnerung zu bringen.
Eric Fischer sagte nichts. Er überlegte, was das alles sollte. Er wollte nicht tiefer in das Grauen hineingezogen werden.
Er blieb vor dem Spiegel stehen. Er hatte sich entschlossen, erst mal nichts zu tun. Und so wartete er darauf, dass die andere Seite sich erneut meldete.
Er wurde nicht enttäuscht.
Wieder war die Stimme da, und sie flüsterte. Ihm rann es kalt den Rücken hinab, denn die Stimme war tatsächlich aus dem Spiegel gekommen. Also hatte die Erscheinung gesprochen. Demnach war sie in der Lage, wie ein Mensch zu reagieren.
»Warum hast du dich so reinlegen lassen?«
Er verstand nicht, was die Frage sollte. »Reinlegen?«, hakte er nach. »Wieso habe ich mich reinlegen lassen?«
»Sie waren Fremde.«
»Ja und?«
»Sie haben dich durchschaut.«
»Was? Wie?«
»Dass du ein anderer bist. Ja, das haben sie genau gesehen. Sie kennen dich. Sie werden dich jagen. Sie werden mehr über dich erfahren wollen.«
»Aber was kann ich ihnen schon über mich sagen?«, fragte er und lachte dabei. »Nichts. Gar nichts.«
»Sie haben gemerkt, dass du ein anderer geworden bist. Und jetzt sind sie misstrauisch geworden. Ich habe sie gespürt, verstehst du?«
»Nein.«
»Ich weiß Bescheid!«, flüsterte die Gestalt im Spiegel. »Ich bin informiert, und ich weiß genau, dass sie nicht aufgeben werden, was schlecht für dich ist.«
»Warum?«
»Weil ich nicht will, dass sie durch dich auf meine Spur kommen. Sie sind etwas Besonderes. Oder einer von ihnen ist etwas Besonderes. Er hat etwas, das ich hasse. Ich habe es gespürt. Es ist sehr mächtig. Ich muss mich von ihm in acht nehmen, und ich weiß, dass er dir überlegen ist. Aber das will ich nicht, verstehst du? Nicht jetzt, wo ich zurückkehren werde.«
Eric Fischer hatte alles gehört. Und er hatte den Eindruck, in eine andere Welt hineingerissen worden zu sein, obwohl die Normalität sich noch um ihn herum befand.
Gefahr!
Ja, das musste es sein. Diese Gestalt konnte er nicht als seine Verbündete ansehen. Sie hatte sich in sein Leben gedrängt, aber jetzt war er nicht mehr wichtig für sie. Und wer nicht mehr gebraucht wurde, der war überflüssig. Aber das wollte er nicht sein. Er musste einer Reaktion der Gestalt zuvorkommen. Dabei wusste er nicht mal ihren Namen, falls sie überhaupt einen hatte. Er fasste sich ein Herz. Mühsam brachte er die Worte hervor. »Wie heißt du?«
»Ich bin Osana.«
Es war ein ungewöhnlicher Name, das wusste auch Eric Fischer, und er sagte: »Tut mir leid, aber der Name sagt mir nichts.«
»Er ist alt, sehr alt.«
»Ach ja?«
»Der Teufel hat ihn mir gegeben.« Sie lachte. »Ja, der Teufel, denn ihm war ich zugetan.«
»Dann bist du eine Hexe gewesen?«
»Die bin ich noch immer. Und ich werde den Menschen beweisen, wie stark ich noch immer bin. Sie haben gedacht, mich töten zu können, aber sie haben nicht mit der Macht der Hölle gerechnet, die mich hat überleben
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