184 - Das Kreuz der blinden Göttin
spuckte sie ihm böse ins Gesicht. »Ich werde dir zeigen, was das für Folgen hat!«
Er wollte sich losreißen, doch Glynis war unglaublich stark.
»Glynis!« keuchte er. »Laß los! Laß mich bitte los! Ich tue dir ungern weh, aber…«
»Ich tu’ dir gern weh!« geiferte Glynis.
Er sah sich gezwungen, ihr zu beweisen, daß er kräftiger war. Blitzschnell packte er ihr Handgelenk mit beiden Händen. Er wollte es herumdrehen, erwartete, daß Glynis vor Schmerz schrill aufschreien würde, doch er konnte ihren Arm keinen Millimeter bewegen.
Glyhis grinste ihn an. »Du legst es auf eine Kraftprobe an? Meinetwegen. Ich drücke mich nicht davor. Ich habe keine Angst vor dir, du armes Würstchen.« Sie lachte schrill. »Du kennst deine Frau nicht wieder, was? Ja, da staunst du, was alles in mir steckt. Ich habe große Pläne, mein Lieber. Du willst doch sicher wissen, wie es mit uns beiden weitergeht. Nun, ich werde in wenigen Minuten Witwe sein, denn ich habe die Absicht, dich zu töten.«
»Glynis, ich begreife das alles nicht…!«
»Du brauchst nichts mehr zu begreifen, Häschen. Du brauchst nur noch zu sterben!«
Sie zerrte ihn durchs Zimmer, öffnete die Balkontür - und warf ihn in die Tiefe.
***
Der Leiter des Literaturkreises war ein Gentleman alter Prägung, weißhaarig, sorgfältig gestutztes weißes Oberlippenbärtchen, weißer Anzug, weiße Schuhe… Ein Sir vom korrekt gezogenen Scheitel bis zur Sohle.
Er hieß Lee Shackleford und genoß, wie viele Briten, seinen wohlverdienten Ruhestand auf Teneriffa. Mr. Shackleford hatte unsere Suite persönlich ausgesucht und freute sich, daß sie uns zusagte. Da er unseren Geschmack nicht kannte, war er diesbezüglich ein wenig unsicher gewesen.
Es gab eine kleine britische Kolonie auf der Insel, und Vicky wurde wie ein Wundertier herumgereicht. Ein wenig abgeschlafft kehrten wir mit einer Einladung zu einem abendlichen, völlig zwanglosen Barbecue in unser Hotel zurück.
»Ganz schön anstrengend, als Autorin so beliebt zu sein«, sagte ich lächelnd.
Vicky juckte die Achseln. »Alles hat eben seinen Preis.«
Ich öffnete die Kühlschranktür. »Darf ich der Lady etwas kredenzen?«
»Nicht jetzt«, antwortete Vicky. »Vielleicht später.«
Sie sagte, sie wolle ein erfrischendes Bad nehmen, und kaum war sie weg, gellte mir ein Schrei in die Ohren, der mich alarmierte. Ich stieß die Eiskastentür zu und eilte auf den Balkon.
Unten im gepflegten Garten stand eine Frau. Sie schrie immer noch. Der Grund lag vor ihren Füßen: ein Mann. Da er auf dem Rücken lag, konnte ich erkennen, um wen es sich handelte.
Es war Martin Elcar, und es sah aus, als hätte er sich das Leben genommen. Mit dieser Annahme konnte ich mich nicht anfreunden. Elcar war gestern mit uns angekommen. Okay, er hatte Probleme, aber sie konnten nicht so schwerwiegend gewesen sein, daß sie für einen Selbstmord reichten. Wenn er die Absicht gehabt hätte, sich umzubringen, hätte er wohl kaum noch diese Urlaubsreise angetreten. Da stimmte irgend etwas nicht.
Vicky kam aus dem Bad geschossen. Ehe ich verhindern konnte, daß sie über die Balkonbrüstung schaute, hatte sie es bereits getan. »O Gott!« entfuhr es ihr. Ich drängte sie zurück.
»Ist der Mann… gesprungen?«
»So sieht es aus.«
»Aber du glaubst es nicht.«
»Wer fährt schon in Urlaub, um sich dort umzubringen?«
»Vielleicht wollte er von einem Balkon zum anderen klettern.«
»Aus lauter Jux und Tollerei?« sagte ich kopfschüttelnd. »Das Alter hatte er hinter sich.«
»Er kann sich ausgesperrt haben.«.
»Ja, das wäre eine Möglichkeit«, sagte ich.
Martin Elcars Balkonsturz wurde für alle Feriengäste zur grausigen Sensation. Halb Puerto de la Cruz war in Aufruhr. Selbst eine Stunde, nachdem seine Leiche abtransportiert worden war, schlugen die Wogen im Hotel immer noch sehr hoch.
Lee Shackleford schickte uns seinen Wagen. Für Vicky war das Barbecue ein gesellschaftliches Muß. Auf mich mußten meine englischen Landsleute verzichten. Sie würden es verschmerzen. Vicky war der Star, nicht ich. Sie hatte Verständnis dafür, daß ich nicht mitkommen wollte.
»Ich bleibe nicht allzu lange«, versprach sie und stieg in Shacklefords Wagen.
Ich hatte die Absicht, mit Glynis Elcar zu reden.
Das Ehepaar Cassavetes aß mit einer Miene, die dem tragischen Ereignis entsprach, allein im Restaurant des Hotels zu Abend. Daß Glynis keinen Appetit hatte, konnte ich verstehen.
Ich nahm an, daß sie sich in ihrem
Weitere Kostenlose Bücher