1848 - Zerrspiegel
gleichgültig gewesen, wenn die unerwünschten „Besucher" allesamt gestorben wären. Aber sie war klug genug, um zu wissen, daß das nur noch mehr Terraner hierherbringen würde, die jede Menge Fragen stellten und den Herreach Vorwürfe machen würden. Auf diese Weise würde sie die Fremden keinesfalls loswerden. Deshalb hatte sie auch nichts dagegen, daß Caljono Yai sich um deren Versorgung kümmerte.
„Es ist also allein Sache unseres Volkes. So sollten wir der Gefahr auch begegnen: nur wir Herreach und gemeinsam, wie es unsere Art ist. Dies ist unsere Welt, die es zu verteidigen gilt. Niemand hat einen Anspruch darauf, und dementsprechend können wir auch keine Hilfe erwarten. Wir sind nicht hilflos, wir verfügen über Fähigkeiten, die weit über jede Technik erhaben sind. Wir müssen daher gemeinsam unsere Fähigkeiten stärken und erweitern, um das unfaßbare Unbekannte sichtbar zu machen und festzusetzen. Nur so können wir erfahren, wer oder was dahintersteckt; und unsere Sicherheit wiederherstellen."
Presto Go hob die Arme.
„Ich bin mir dessen bewußt, daß wir damit ein großes Risiko eingehen, aber wir haben keine andere Wahl. So viel ist unserer Welt innerhalb kurzer Zeit zugemutet worden, aber wir haben gelernt, damit umzugehen und uns anzupassen."
Sie erwähnte nicht, daß sie letztlich nur dank der Hilfe der Terraner überlebt hatten, aber das spielte in diesem Zusammenhang auch keine Rolle. Es wußte ohnehin jeder, außerdem wollte sie das Zusammengehörigkeitsgefühl stärken.
„Wenn wir überleben wollen, müssen wir alle Kräfte einsetzen. Wenn wir in Frieden leben wollen, müssen wir uns gegen jede fremde Macht zur Wehr setzen und sie in ihre Schranken weisen. - Das ist unsere Aufgabe."
„Laßt uns beginnen!" rief Vej Ikorad.
Kein Herreach sprach sich dagegen aus.
*
Bereits die ersten Sitzungen zeigten, daß das Fremde ein Volumen besaß, von dem die Herreach sich keinerlei Vorstellungen machen konnten. Das Unheilvolle ließ sich weder in der Größe noch in der Form ermessen. Uferlos wie eine unüberschaubare Sandfläche erstreckte es sich über das mentale Bewußtsein aller Herreach und rieselte staubfein in alle Gedanken. Es war und blieb nicht faßbar, dennoch nahm sein Einfloß stetig zu.
Die Herreach lernten, was es bedeutete, Angst zu haben. Ihre natürlichen Feinde waren im Lauf der Evolution ausgestorben, und sie hatten seit sehr langer Zeit nichts mehr zu fürchten gehabt. Angst jedoch war ein Urinstinkt, der sich nur zurückdrängen, niemals aber gänzlich auslöschen ließ.
Diese Erfahrung maßten die Bewohner Trokans nun machen.
Immer mehr Herreach in den Städten oder auf dem Land erfuhren, daß sie nicht allein mit dem Gefühl der Bedrohung waren, daß jeder von ihnen einen ähnlichen Alptraum hatte. Sie zogen in Scharen nach Moond, um den Reden der obersten Sünderin zu lauschen und sich von ihr leiten zu lassen, dieses Unheimliche zu bekämpfen.
Bald nahmen Tausende von Herreach an den Gebetsrunden teil.
Aber auch das Unheimliche zog weitere Kreise. Je größer das Aufgebot an Herreach wurde, desto größer schien es zu werden und sich in die mentalen Bereiche des Volkes auszudehnen. Bis in die Trance hinein!
Die Herreach hatten sich zu den größten Gebetsrunden aller Zeiten zusammengefunden, entschlossen, alles nur mögliche zu tun, um dem Fremden Einhalt zu gebieten.
Es zeigte sich, daß das Fremde einen starken Einfloß auf die geistigen Kräfte der Herneach ausübte: Es war ihnen nicht mehr möglich, den vielgestaltigen Brodik oder den Zwerg Pallomin zu erschaffen, erst recht nicht den Riesen Schimbaa, obwohl die Zahl der Betenden eigentlich mehr als ausreichte.
Und gerade diese mythischen Wesen waren notwendig, um Rätsel zu lösen! Sie existierten schon so lange in der Erinnerung der Herreach, daß sie zu einem Teil von ihnen geworden waren, die Sichtbarmachung eines gemeinsamen Willens.
Diesen Wesen war es möglich, alles zu tun, sie waren so stark wie alle Herreach zusammen und handelten nach dem Willen aller. Nichts konnte sie überwinden ...
... bis auf das Grauen, das von irgendwoher den Weg nach Trokan gefunden und sich hier niedergelassen hatte. Statt gebannt zu werden, bannte es seinerseits die guten Wesen, nämlich Brodik, Pallomin und Schimbaa.
An ihrer Stelle erschienen ganz neue, nie dagewesene Gestalten, die kein Herreach jemals bewußt von sich aus erschaffen hätte.
Die Herreach gaben sich alle Mühe; Caljono Yai war eine
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