1848 - Zerrspiegel
enthalten, um deutlich zu machen, daß sie nichts vergessen hatte. Aber das hieß nicht, daß sie nicht bereit war, einen neuen Anfang zu versuchen.
Yai wußte nicht mehr, was sie von der obersten Künderin halten sollte. Vorsichtig keimte in ihr die alte Bewunderung wieder auf. Der vergangene Bruch trat mehr und mehr in die nach der Prophezeiung neu entstandenen Schatten zurück.
Es war vielleicht doch nicht so schlecht, daß mittlerweile alles zwei Seiten hatte, eine helle und eine dunkle. .
Presto Go klammerte sich nicht an Vorwürfen und Schuldzuweisungen fest. Das machte sie nun deutlich.
„Unsere unterschiedlichen Auslegungen sind unbedeutend. Die Terraner sind deswegen nicht meine Freunde, aber es ist unwichtig, ob sie mit ihrer Technik Schuld daran tragen oder ihr mit euren Gebeten. Unser Volk ist bedroht, das steht fest. Wir müssen uns gegen das Fremde wehren - gemeinsam. Dazu gehört ihr ebenso wie alle anderen, Seid ihr dazu bereit?"
Die drei anderen legten ihre Nas-Organe in verblüffte Falten; das ging ihnen fast zu schnell. Aber Presto Go hatte recht, es galt, keine Zeit zu verlieren - und es galt, an einem Strang zu ziehen.
„Was sollen wir tun?" fragte Vej Ikorad.
*
Die oberste Künderin verlor keine Zeit. So kam es zu einem einzigartigen, nie dagewesenen Zusammentreffen.
Presto Go hatte zahlreiche Clerea zu sich gerufen, die bereits seit Tagen aus allen Richtungen eintrafen und die Ruinen der Stadt Moond belebten. Mit ihnen kamen die Anhänger der beiden anderen Glaubensrichtungen, die Neuen Realisten und die Herrachischen Freiatmer.
Zum ersten Mal trafen sich alle Sprecher und Hauptvertreter der verschiedenen Glaubensgruppen an einem Tisch, friedlich versammelt und zur Zusammenarbeit bereit.
Presto Go verstand es ausgezeichnet, den Vorsitz zu führen. Sie berührte keinen kritischen Punkt, seien es religiöse Auffassungen oder Verhaltensweisen. Sie griff niemanden verbal an, weder eine Person noch eine Gruppe, behandelte alle gleich.
Ihre „Gegner" stellten ihre Standpunkte hintenan; sie hatten einen Weg gefunden, einander näherzukommen, ohne die eigene Position aufgeben zu müssen. Sie alle zeigten sich selbstbewußt und ausgeglichen, vermieden jedoch jede persönliche Äußerung.
Es ging nur darum, der immer offensichtlicher werdenden Bedrohung zu begegnen. Sie hatten alle erkannt, daß es sich nicht um eine vorübergehende Störung handelte, verursacht durch die veränderten Lebensverhältnisse. Es war etwas ganz anderes, etwas absolut Fremdes, das von außen kam und die Herreach in irgendeiner Weise zu beeinflussen suchte.
Daher brauchten sie nicht lange, um einig zu werden. Sie konnten dem unbekannten Feind nur gemeinsam, mit den Kräften aller, begegnen.
Caljono Yai war es, die einen ungewöhnlichen Vorschlag aufbrachte. „Sollten wir nicht versuchen, mit den PsiBegabten Kontakt aufzunehmen?" Sie meinte die Schwestern Mila und Nadja Vandemar, die vor Monaten auf mentale Weise versucht hatten, in den Pilzdom vorzudringen. „Ihre Unterstützung wäre für uns bestimmt sehr wertvoll."
Die Mahnerin in der violetten Kutte war sich darüber im klaren, daß sie sich auf sehr gefährlichen Boden begab. Sie stieß die oberste Künderin geradezu mit dem Nas-Organ auf den „Beweis", wer tatsächlich schuld an den unheilvollen, sich stetig steigernden Vorgängen sein könnte.
Aber sie hoffte auf die Vernunft, die seit Beginn der Verhandlungen herrschte; und sie suchte nach jeder Möglichkeit. Die Herreach brauchten Hilfe, und jedes Mittel dazu mochte ihr recht sein.
Presto Go schwieg einige Zeit. Möglicherweise sah sie einen Zusammenhang zwischen dem Handeln der Schwestern und dem Auftreten der Ängste, aber sie sprach das nicht aus.
„Das wäre eine Möglichkeit", sagte sie besonnen, „aber wie sollen wir das bewerkstelligen? Nach deinen Aussagen ist mit den hiesigen Terranern nicht das geringste anzufangen. Mit ihrer Technik können wir nicht umgehen, wir können also keinen zielgerichteten Funkspruch absetzen. Und wohin sollten wir den absetzen? Du weißt nicht, wo sich diese beiden Menschen befinden."
„Das ist ein Problem", gab Caljono Yai enttäuscht zu.
„Ich denke, das ist auch besser so", meinte Presto Go. „Es ist nicht die Art der Herreach."
Sie musterte die Anwesenden der Reihe nach.
„Die Terraner benehmen sich seltsam, aber ich denke nicht, daß sie in unmittelbarer Gefahr sind", fuhr sie laut fort.
Selbstverständlich wäre es ihr vollkommen
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