1849 - Der Unheilbringer
seinen klaren Blick verloren und sah die Blonde leicht verschwommen.
Die war alles anderes als untätig. Sie reagierte schnell, denn sie brauchte noch einen Schluck Blut.
Lilly war noch da.
Sie hatte nicht verschwinden können. Sie stand nahe der Tür mit dem Rücken an der Wand. Auf ihrem Gesicht malte sich Entsetzen.
Die Cavallo lächelte sie an. »Na, willst du nicht herkommen, oder muss ich dich holen?«
»Nein, ich …«
»Ich brauche dein Blut, eine kleine Probe. Ich hinterlasse bei euch das Zeichen, dass ihr mir gehört. Wir sehen uns später wieder. Zunächst werde ich mir eine kleine Probe nehmen. Ich weiß schon jetzt, dass mir dein Blut gut schmecken wird.«
Lilly hatte jedes Wort gehört. Sie wusste sehr gut, dass sie gegen dieses Weib nicht ankam. Sie hatte erlebt, welche Kräfte in ihr steckten, und deshalb tat sie nichts und schaute zu, wie die Blonde sich ihr langsam näherte. Schritt für Schritt ging sie vor, und dann endete die Bewegung in einem Sprung.
Lilly schrie vor Schreck auf, als zwei Hände sie packten und von der Wand wegzogen. Sie fiel genau hinein in die Umarmung der Blutsaugerin.
Mit einem Opfer wie Lilly hatte die blonde Bestie leichtes Spiel. Sie drückte den Kopf nach rechts, murmelte dabei etwas und so lag die linke Halsseite frei für den Biss.
Justine senkte den Kopf und hackte die Spitzen der Zähne in die straffe Haut.
Sofort entstanden zwei Wunden. Sie waren wie winzige Male, die sich mit Blut füllten. Sofort begann das Saugen, und Lilly wurde noch fester in die Arme genommen.
Sie konnte nicht entkommen. Zu stark war die andere Macht, die kein Pardon kannte. Die Cavallo schluckte und saugte, und sie hielt eine Person in den Armen, die sich nicht wehrte. Am liebsten hätte sich die Vampirin voll gesaugt, das tat sie nicht, denn sie hielt sich an das Versprechen, ihre Nahrung erst mal zu zeichnen.
Und so ließ sie Lilly wieder los.
Die hatte damit nicht gerechnet. Sie ging einen Schritt zur Seite und knickte dann in den Knien ein. Mit beiden Händen stützte sie sich ab, dann hörte sie das leise Lachen.
»Bis später, meine Süße, denn ich werde dich und deinen Freund nicht vergessen …«
***
Ich hatte noch den Anruf der Cavallo im Ohr, und erst recht die Botschaft, die sie mir mit auf den Weg gegeben hatte. Sie hatte jetzt ihren Spaß, das war ihre Zeit, da fiel sie gar nicht mal richtig auf, und sie hatte sich schon ein Opfer ausgesucht, nämlich den Sohn des Pfarrers, der in dieser Halloween-Nacht unterwegs war, weil er seinen Spaß haben wollte.
Dazu würde es nicht kommen. Eine Unperson wie die Cavallo war eiskalt. Sie zog immer das durch, was sie sich vorgenommen hatte, und leicht zu stoppen war sie nicht. Sie war dafür bekannt, dass sie jeden Widerstand aus dem Weg räumte.
Was tun?
Ich wusste es nicht. Ich kam mir in diesem Fall hilflos vor. Ich stand hier mit beiden Beinen im Halloween-Trubel, ohne zu wissen, wo ich anfangen sollte und wo nicht.
Keiner sah aus wie sonst. Hier liefen alle Menschen verkleidet herum. Ich sah die schaurigsten Gestalten vor mir weghuschen. Da hatten sich die Jugendlichen wirklich Mühe gegeben.
Es gab auch einen Pub im Ort. Durch seine Fenster fiel gelbes Licht auf den Gehsteig, und auf den Scheiben klebten auch kleine Sticker mit schaurigen Motiven.
Was sollte ich tun? Fragen stellen? Das wäre eine Möglichkeit gewesen, aber das junge Volk, das mir begegnete, sah nicht eben aus, als würde es scharf auf Fragen und Antworten sein. Deshalb ließ ich es lieber bleiben und wollte im Pub mein Glück versuchen.
Die Tür war ebenfalls mit einer schaurigen Gestalt beklebt. Sie zeigte einen nackten Menschen, auf dessen Oberkörper sich zahlreiche Wunden abzeichneten.
Ich erreichte die Tür nach wenigen Schritten und schob sie nach innen. Auch dort war die Verkleidung dem Fest angepasst. Der Wirt hatte schwarze Girlanden unter der Decke verteilt. Es brannten schwarze Kerzen und auf den Tischen standen die künstlichen Spinnweben, in denen fette Käfer hingen.
Einige Schlucker standen an der Theke. Andere hockten an den Tischen, und wenn jemand genau hinhörte, dann bekam er etwas von der schaurigen Musik mit, die durch den Raum wehte.
Verkleidet war so gut wie keiner der Gäste. Dafür waren sie zu alt. Nur einer hatte sein Gesicht bleich angemalt und sich blutige Tränen auf die Wangen geklebt.
Es war der Wirt, der im Leichenhemd hinter der Theke stand und mich anschaute, als ich mich auf einen Hocker
Weitere Kostenlose Bücher