186 - Wächter der Stille
Erdmittelalter!
Quart’ol und die Marsianer zuckten unwillkürlich zusammen, als plötzlich ein riesiger Kopf aus dem Sand schoss. Er gehörte einem Kronosaurus queenslandicus aus der Familie der Pliosaurier. Clarice fand, dass er wie eine Mischung aus Krokodil und Delfin aussah. Die abgerundete Mundfalte vermittelte den Eindruck, er würde lachen. Das tat er aber nicht, und er war auch nicht komisch.
Wie eine Urgewalt schoss der Kronosaurus aus der sandigen Bodenfurche und verfehlte die Transportqualle nur, weil Quart’ol geistesgegenwärtig einen Schubstoß nach oben initiiert hatte.
Vogler und Clarice drängten zur Weiterfahrt, und Quart’ol zögerte nicht, dem Wunsch nachzukommen. Den Beiden blieb im Gegensatz zu ihm keine Chance, sollte der Transportqualle etwas zustoßen. Der Wasserdruck in diesem abgeschotteten Meer war deutlich geringer als draußen im Marianengraben, aber immer noch viel zu stark für ihre marsianischen Druckanzüge.
Quart’ol ließ die Transportqualle wieder aufwärts steigen.
Er war kein Experte in Sachen Saurier, doch er wusste, dass diese urzeitlichen Tiere Lungenatmer waren. Folglich musste sich irgendwo ein riesiges Luftreservoir befinden, sonst wären sie erstickt – und wo hätte es sein sollen als unter der lumineszierenden Himmelskuppel? Wenn man hoch sah, konnte man an treibenden Algenresten erkennen, dass das Wasser in den oberen Bereichen Kreise zog.
»Das deutet auf eine Versorgungsanlage hin«, meinte Quart’ol. »Frischwasser, Luftzufuhr… unter der Kuppel gibt es bestimmt auch eine Schleuse.«
»Dein Wort im Herz des Waldes«, sagte Vogler. Man merkte ihm an, dass er sich unwohl fühlte, und Clarice ging es nicht anders.
Quart’ol versuchte die Marsianer beschäftigt zu halten und erzählte ihnen auf dem Weg nach oben, was er über die Meeresechsen wusste. »Ich wüsste zu gerne, wie die Hydree das geschafft haben! In freier Natur wären sich viele dieser Saurier nie begegnet«, sagte er. »Sie stammen aus dem Erdmittelalter, aber aus verschiedenen Zeitabschnitten! Der da drüben zum Beispiel, der fast so aussieht wie ein Delfiin: ein Ichthyosaurier. Diese Fischechsen hatten ihre Blütezeit im Trias und im Jura.«
Quart’ol zeigte auf einen Hydrotherosaurus, der eilig in die Höhe strebte, um Luft zu schnappen. »Solche wie er, die keine Ähnlichkeit mehr mit Fischen haben, kamen erst später. Man unterteilte sie in langhalsige Plesiosaurier und kurzhalsige Pliosaurier. Sie haben in der Kreidezeit die Fischechsen als Herrscher der Meere abgelöst.«
Einige der Kreaturen begannen sich für die Transportqualle zu interessierten. Sie hatten eine solche Lebensform wohl noch nie gesehen, und das erweckte ihre Neugierde. Vielleicht konnte man sie ja fressen?
Quart’ol griff bereits nach der Steuerung, um sie mit dem grellen bionetischen Licht abzuschrecken, als die Saurier plötzlich davon stoben. Eine Fischechse kam träge aus der Dunkelheit, ein wuchtiger Shonisaurus. Er bewegte sich kaum und würde den Kurs der Qualle kreuzen – falls er nicht vorher einschlief.
Vogler sog geräuschvoll die Luft ein. »Meine Güte, ist der fett! Dieser Hängebauch könnte auch einer trächtigen Waalkuh gehören!«
Der Hydrit blickte auf. »Vielleicht ist er… oder vielmehr sie tatsächlich trächtig. Oder satt gefressen.« Er betrachtete die Kreatur mit wissenschaftlichem Interesse. »Kaum vorzustellen, dass Ichthyosaurier anfangs mal aussahen wie Aale, was?« Er grinste. »Vom Aal zum Waal. Wenn das keine Evolution ist!«
Quart’ol grinste noch immer, als der Klops draußen auf gleiche Höhe trieb. Der Blick der kalten Augen und die Rückenfinne hatten durchaus etwas Haiartiges, aber dieser hängende Speckbauch ließen das Wesen alles andere als gefährlich erscheinen…
Und dann ging alles blitzschnell.
Urplötzlich ruckte der Shonisaurus herum. Vier starke Paddelflossen beförderten ihn mit nur einem Schlag ans Ziel: die Unterseite der Transportqualle. Schon beim Zupacken trennten seine messerscharfen Zähne erste Tentakel ab, stieß das Maul tief und hart in den weichen Quallengrund.
Quart’ol konnte noch die Scheinwerfer aktivieren, dann brach die Hölle los. Der Shonisaurus hatte sich an den mittleren Tentakelwurzeln verbissen, die hielt er fest und begann mit dem Kopf zu schlagen. Hin und her. Sein Speckbauch beherbergte offenbar eine nicht geringe Anzahl kräftiger Muskeln.
Die Transportqualle wurde mit solcher Wucht herumgeschleudert, dass sich ihre
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