186 - Wächter der Stille
Zugang zur Stadt finden…
***
Zur gleichen Zeit, als Agat’ol auf der Oberseite von Gilam’esh’gad unterwegs war, kämpften an der nördlich gelegenen Steilwand Quart’ol und seine Gefährten mit ihrer Enttäuschung.
»Ich kann es nicht glauben«, sagte Clarice. »Wir sind fast elftausend Meter in die Tiefe getaucht, um nichts weiter zu finden als einen behauenen Felsen? Das darf einfach nicht wahr sein! Nein!« Sie verschränkte die Arme. »Das akzeptiere ich nicht!«
Quart’ol wies mit einem Kopfnicken nach draußen. »Sieht nicht so aus, als hättest du eine Wahl«, meinte er düster. »Ich verstehe es selbst nicht. Einauge klang so… aufrichtig, und es macht überhaupt keinen Sinn, dass ein Quan’rill des Gilam’esh-Bundes mich auf ein sinnloses Unternehmen schicken sollte. Auch noch eines dieser Größenordnung!«
Der hydritische Wissenschaftler war getroffen, das merkte man ihm an. Quart’ol hatte sich im Laufe des Lebens große Achtung unter Seinesgleichen verdient. Die wurde ihm normalerweise auch entgegen gebracht. Es erschien so abwegig, dass ihn jemand zum Narren halten sollte.
Vogler war der Einzige an Bord, der noch einen Rest von Optimismus zeigte. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Hydree einen ganzen Felsen mit Reliefs und falschen Türen versehen haben, wenn es keinen Eingang gibt«, sagte er. »So viel Arbeit für nichts, das wäre doch verrückt!«
Quart’ol lachte auf. »Erzähl das den alten Ägyptern!«, knurrte er, während er sich der Steuerung zuwandte. Etwas härter als nötig, drückte er auf ein paar Kontaktfelder. Die Transportqualle setzte sich in Bewegung, trieb gemächlich an der Felswand entlang. Quart’ol hatte die Scheinwerfer reaktiviert; es war ihm momentan egal, ob er damit die Säure spuckende Riesenschnecke wieder anlockte oder nicht. Türen, Tore und Straßeneingänge zogen durchs Licht, in endloser Reihenfolge, eine Öffnung so unecht wie die andere.
Weil es nichts zu tun gab außer hinzusehen und zerplatzende Hoffnungen abzuhaken, hielt Quart’ol den Marsianern einen Vortrag über menschliche Beerdigungsrituale im Pharaonenzeitalter. Die Hydriten besaßen gut gefüllte bionetische Bibliotheken, da ließ sich so manches Wissenswerte aufstöbern. Quart’ol war gerade bei Amenophis IV. angelangt, als Clarice plötzlich hochfuhr.
»Anhalten!«, verlangte sie scharf.
Im Scheinwerferlicht war ein riesiges Portal aufgetaucht.
Quart’ol musste die Transportqualle ein Stück zurück fahren, um es als Ganzes zu erfassen. Merkwürdig sah es aus, irgendwie anders als der Rest. Es gab auch hier schön gearbeitete Steinfiguren, überall und in großer Menge, aber dazwischen waren lange Ovale voller Schriftzeichen. Sie wirkten nicht wie Verzierungen. Eher wie Hinweistafeln.
»Das ist es!«, sagte Quart’ol atemlos. »Das Tor zur Stadt! Seht nur!«
Er wies auf das mittlere und größte Oval. Die bionetischen Scheinwerfer holten dort etwas Herrliches aus der Dunkelheit: eine senkrechte, durchlaufende Spalte! Das Portal war eine Flügeltür – und sie ließ sich öffnen!
»Da bist du dir sicher, ja?«, fragte Vogler.
Quart’ol ging nicht darauf ein. »Ich steige aus«, sagte der Hydrit. »Vogler, du übernimmst die Steuerung. Clarice, du hältst Ausschau nach unserem ätzenden Schneckenfreund. Den können wir jetzt nicht gebrauchen!« Quart’ol kramte im Stauraum unter der Steuerkonsole herum. Er zog ein winziges Gerät hervor, steckte es kurz in ein Kontaktfeld und tippte einen Befehl.
»Ich nehme den Korresponder mit. Er ist auf eure Frequenz geschaltet, so haben wir Sprechkontakt.«
Alle Niedergeschlagenheit an Bord war wie weggeblasen.
Die Gefährten konnten es nicht erwarten, endlich – endlich! –Gilam’esh’gad zu sehen, die geheimnisvolle Stadt der Hydree zu erforschen. Welche Wunder mochten sich hinter den Portalflügeln verbergen?
Kaum war Quart’ol im freien Wasser, setzte Vogler die Transportqualle in Bewegung. Er wusste, dass er das Kontaktfeld gleich wieder loslassen musste, weil bei der geringen Entfernung zum Tor nur ein Minimalschub angebracht war. Doch er konnte es nicht. Er wollte unbedingt so nahe wie möglich heran sein, wenn Quart’ol das Portal öffnete.
Rumms klang es gedämpft, als die Qualle an eines der Ovale stieß. In den Schriftzeichen darauf hatten sich Mikroorganismen angesiedelt, grün und weich. Sie blieben an der Qualle kleben, als sie mit Druck in die Kerben gepresst und gleich wieder herausgefahren
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