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186 - Wächter der Stille

186 - Wächter der Stille

Titel: 186 - Wächter der Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Seidel
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wollte alles wissen – alles, vom ersten Hydree bis zum gestrigen Tag! Brennende Begierde erfüllte ihn, nahm ihm den Atem, ließ ihn unbewusst die Hände ringen. Was sollte er fragen? Wie viele Fragen standen ihm frei? Und was wäre – bei Ei’don! – wenn ihm die Wichtigste zu spät einfiele?
    Der Wächter schwieg.
    Beharrlich.
    Quart’ol hatte auf irgendeine Entscheidungshilfe gehofft, doch sie kam nicht. Stattdessen war ihm, als würde die Verbindung abbrechen, als würde sich der Herr über all dieses kostbare Wissen zurückziehen! Panik erfasste den Hydriten, und so fragte er das Erste, was ihm in den Sinn kam.
    »Wo sind die Bewohner von Gilam’esh’gad?«
    Einen Augenblick herrschte Stille. Dann antwortete statt des Wächters eine fremde Stimme: »Höre aus den Aufzeichnungen des Zweiten Pozai’don, die er dem wahren Buch der Chroniken hinzufügte, nachdem unsere Friedenswaffe, der Molekularbeschleuniger, vierzig Städte der ruchlosen Mar’os-Anhänger verdampft hatte und dabei eine unerwartete, globale Sintflut auslöste: Es war eine Katastrophe, ja, doch wenn die Hydree durch sie auch die Lehren des Schrecklichen Mar’os vergessen, wollen wir sie als glücklichen Wendepunkt hydritischer Geschichte betrachten und ihn als solchen auch in den Chroniken verzeichnen. Und sie sind so sehr mit dem nackten Überleben beschäftigt, dass sie tatsächlich alles zu vergessen scheinen! Zwei nahmen wir auf in Gilam’esh’gad. Wir hätten es niemals tun sollen. Sie schleppten eine Krankheit ein, an der sie selber zugrunde gingen, noch bevor sie die Lehren des Großen Gilam’esh schmecken konnten. Und den Schöpfern sei es geklagt: Nicht nur sie, sondern auch viele Schüler des Großen Gilam’esh verstarben an dieser Krankheit, zuletzt mein verehrter Vorgänger, der Große und Erste Pozai’don. Kaum tausend Hydriten leben noch in Gilam’esh’gad, und noch immer sterben Brüder und Schwestern an den Folgen der rätselhaften Krankheit. So steht es geschrieben.« [5] Quart’ol zitterte, war zutiefst geschockt. Er hatte während dieses Berichtes mit eigenen Augen gesehen, was die Friedenswaffe des Zweiten Pozai’don tatsächlich war.
    »Ihr habt ihre Städte verdampft?« Quart’ol hatte das Gefühl, unter ihm würde sich ein Abgrund öffnen. »Mitsamt allen Bewohnern? Alte, Kranke, Neugeborene – ihr habt sie einfach in ihre Atome zerkocht?«
    »Kritisiere nicht die Entscheidungen des Großen Pozai’don! Er hat zum Wohle unseres Volkes gehandelt, im Sinne der Lehren unseres geliebten und verehrten Gilam’esh, dem Weltenwanderer und Herrn unserer Seelen!«
    Die Stimme klang verärgert. Quart’ol hatte Angst vor der Macht, die sich hinter ihr verbarg und durchaus im Ansatz zu erahnen war. Trotzdem konnte er nicht schweigen. Es ging nicht.
    »Nein!«, sagte er fest. »Es war nicht zum Wohle unseres Volkes, eine Massenvernichtungswaffe zu bauen! Es ist nicht im Sinne des gütigen und friedfertigen Gilam’esh, Abertausende in den Tod zu schicken! Das war es nie!«
    »Möchtest du diesen Ort verlassen?«, fragte der Wächter.
    Quart’ol hatte alle Mühe, seine Gefühle herunterzufahren.
    Er hätte gern das Thema Scheinheiligkeit diskutiert – doch er wusste natürlich, dass man es nicht gestatten würde. Er musste vielmehr damit rechnen, jeden Moment fortgeschickt oder sogar bestraft zu werden. Also zwang er sich zur Ruhe und sagte: »Meine Frage wurde noch nicht beantwortet. Wo sind die Bewohner von Gilam’esh’gad heute?«
    »Kurz nachdem Mar’ok’shimre zerstört war, die Stadt des Schrecklichen Mar’os, kamen zwei seiner Anhänger zu uns. Sie waren unbewaffnet und zeigten Reue, deshalb ließen wir sie herein. Wir wollten unsere edle Gesinnung beweisen, unsere Güte und Vergebung. Wir boten ihnen an, sie als Bürger von Gilam’esh’gad aufzunehmen, wenn sie sich die Tantrondrüsen entfernen ließen und damit die Lust am Verzehr von Fleisch. Sie willigten ein.« Der Wächter zögerte einen Moment, dann fuhr er fort: »Wir hätten es besser wissen müssen! Diese Mar’osianer waren keineswegs geläutert! Sie waren fanatische Anhänger ihres blutrünstigen Gottes, und sie brachten den Tod in unsere Stadt.«
    Quart’ol offenbarte sich Wissen von kaum erträglichem Ausmaß, als der Wächter weiter sprach. Die beiden Mar’os-Anhänger hatten auf dem Weg nach Gilam’esh’gad absichtlich Fische gefressen, die an der Beulenkrankheit litten, einer hochinfektiösen Seuche. Sie war unheilbar und

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