1864 - Vorabend der Apokalypse
so oder so."
Mit diesem rätselhaften Spruch verabschiedete er sich. Der Bildschirm verdunkelte sich, und Kaif fragte sich, was er mit dieser letzten Andeutung gemeint haben könne.
Sie erfuhr es noch in der Raumstation, nur eine Stunde später.
*
In der Zwischenzeit hatte Kaif Chiriatha wieder mit Seda Galoer gesprochen und ihr weitere Unterstützung durch Roboter zugesagt. Noch mehr Automaten wurden aus Baaken Bauu abgezogen und in die Stadt der Kinder gebracht, wo sie jetzt am allernötigsten gebraucht wurden.
„Komm zu mir, liebe Seele!" drängte Kaif die Erzieherin. „Nur für einige Stunden. Hier bist du in Sicherheit und kannst neue Kräfte sammeln."
„Ich darf die Kinder jetzt nicht im Stich lassen", wehrte Seda ab. Dann blitzte es ganz kurz in ihren Augen auf. „Ach was, ich sollte es tun! Es sind kleine Bestien, jedes ein potentieller Mörder! Man sollte sie sich selbst überlassen und ..."
Sie hielt - inne und machte ein erschrecktes Gesicht. Dann schlug sie sich die Hände vor die Augen und beendete die Verbindung.
Arme Seele, dachte Kaif gerührt. Ihr erster Impuls war, sich zu der alten Freundin abstrahlen zu lassen und sie zu trösten, doch das war jetzt nicht möglich.
Sie sah den Rufmelder blinken und gab der Syntronik den Befehl, den neuen Kontakt herzustellen.
Sie hatte erwartet, Pega Mrion wiederzusehen. Statt dessen blickte sie in das uralte Gesicht eines ihr bislang unbekannten Galornen. Auch es wurde nur zweidimensional abgebildet, und sie ahnte, mit wem sie es nun zu tun hatte.
„Ich bin Duum Treiber", eröffnete der Alte das Gespräch. Seine Stimme klang dunkel und müde. Die Haut war so faltig, wie sie es noch nie bei einem Galornen gesehen hatte. Aber die schwarzen, runden Augen waren hellwach. „Pega Mrion hat mich über deine Theorie informiert, daß der Drache schuld sei an der wachsenden Aggressionsbereitschaft der Galornen auf Helter Baaken. Ich halte das für absurd, Kaif Chiriatha."
Kaif war sprachlos.
Sie hatte sich oft und lange mit Ce Rhioton unterhalten, dem zweiten Boten von Thoregon. Sie hatte mit allen Galornen am Tisch gesessen und diskutiert, die Einfluß hatten auf die Entwicklung ihres Volkes. Sie hatte gelernt, Befehle und Anweisungen so zu kleiden, daß sie wie Bitten klangen. Kraß ausgedrückt, war sie es gewohnt, hofiert zu werden - obwohl dieser Vergleich bei Galornen sicherlich fehl am Platz war -, und daß man das tat, was sie wünschte.
Und nun kam dieser uralte Mann und riß sofort alles an sich. Er hatte ihr keine Chance gegeben, ihre Position ihm gegenüber zu vertreten, sondern sofort Stellung bezogen - und zwar gegen sie.
„Ich weiß nicht, was du vorhast, Kaif Chiriatha", fuhr Trelber fort, ohne ihr auch diesmal die Gelegenheit zu einer Antwort zu geben. „Doch wisse, daß ich alles in meiner Macht Stehende tun werde, um zu verhindern, daß sich Unqualifizierte am Drachen von Helter Baaken zu schaffen machen. Ohne die Drachen gäbe es unser Volk in der heutigen, friedlichen Form nicht. Ohne die Drachen würden wir weiter in tiefster Barbarei leben. Bedenke dies! Jedes Antasten des Drachen kann zur Katastrophe führen. Ich werde es nicht zulassen. Der Drache von Helter Baaken arbeitet zuverlässig und ist noch lange nicht übersättigt, so daß wir uns eine neue Wohnwelt suchen und einen neuen Drachen bauen müßten. Laßt eure Hände von Dingen, von denen ihr nichts versteht!"
Er blickte Kaif aus Augen an, aus denen der Starrsinn sprach, dann unterbrach er die Verbindung ohne einen Abschiedsgruß.
Kaif Chiriatha war schockiert.
Muum Dugesm war auch alt gewesen, aber allem und jedem gegenüber aufgeschlossen und freundlich.
Dieser alte Mann, Duum Trelber, war das genaue Gegenteil von Muum. Er wirkte arrogant, herrisch, selbstgefällig. Wie konnte das zu einem Galornen passen, der die Weisheit der Jahrhunderte und die Musen in sich vereinte?
Oder war der oberste Drachenbauer schon so sehr von Aggressivität erfüllt, daß er sich so ablehnend gab?
Kaif Chiriatha nahm Verbindung mit Traph Gandalon in der Schaltzentrale auf und fragte ihn, wie viele Galornen kurzfristig in alle existierenden Raumstationen und die Zentrale evakuiert werden könnten.
Die Antwort war eine weitere Ernüchterung: Nicht einmal ein Zehntel der Schüler aus der Kinderstadt hätten im Weltraum Aufnahme finden können.
Kaif kehrte nach Helter Baaken zurück, zu ihrem Haus. Wenn sie einige Gespräche von dort aus geführt hatte, wollte sie wieder in
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