187 - Die Wolfshexe
muß vorsichtig sein.«
»Das ist ganz klar«, sagte Everett Noch dazu in einem solchen Haus, dachte er.
Sally Reynolds lud ihn zum Tee ein. Er hatte noch nie seinen Fuß in Hyram Oaks’ Haus gesetzt und nicht geglaubt, daß er das jemals tun würde, aber nun kam es doch dazu.
Mit sehr gemischten Gefühlen trat er ein.
»Ich hatte noch keine Zeit, Ordnung zu machen«, erklärte Sally Reynolds. »Nur das Nötigste habe ich vorläufig gereinigt.«
»Haben Sie die Absicht, hier zu wohnen?« erkundigte sich Everett.
»Ja.«
»Haben Sie das Haus gekauft?«
»Ja.«
»Ich hoffe, Sie können mir meine Neugier verzeihen. Ein alter Mann im Ruhestand erlebt nicht mehr viel, also wird er neugierig und stellt jedermann viele Fragen.«
»Ich habe das Haus sehr billig bekommen«, erklärte Sally. »Es ist natürlich sehr viel daran zu tun, und es wird mich wahrscheinlich eine schöne Stange Geld kosten, aber es muß ja nicht alles auf einmal erledigt werden.«
Ein runder Intarsientisch und die Stühle, die darum herum standen, waren sauber. Sally bat den Nachbarn, Platz zu nehmen, und zog sich in die Küche zurück, um das Teewasser aufzusetzen.
Kaum war Everett allein, kroch eine unnatürliche Kälte auf ihn zu und bemächtigte sich seiner.
***
Ich bedankte mich bei Taylor für die Auskunft und ging. Ein Taxi brachte mich nach Notting Hill. Ich dachte an Pater Severin, der inzwischen nach Hause gekommen sein mußte.
Ich hätte ihn anrufen sollen, sagte ich mir. Er macht sich bestimmt Sorgen.
In Notting Hill ließ ich mich vor einer Telefonzelle absetzen. Bis zu dem Haus, zu dem sich Sally Reynolds hatte bringen lassen, war es nicht mehr weit.
Ich wollte den Rest des Weges zurücklegen. Nach dem Telefonat.
Ich wählte Pater Severins Nummer, kam aber nicht durch. Es war immer wieder besetzt. Nach dem fünften Versuch gab ich auf. Vor allem deshalb, weil mich eine schwarzhaarige Matrone durch das Glas mit wachsender Ungeduld giftig anstarrte.
Ich trat aus der Zelle. »Bitte«, sagte ich einladend. »Das Telefon gehört Ihnen.«
»Wurde auch langsam Zeit«, keifte die Frau.
Ich beachtete sie nicht weiter, sondern drehte mich um und ging zügig die Straße entlang.
Wenig später hatte ich das Haus vor mir, das Chad Taylor beschrieben hatte. Es sah aus wie ein grauer, zu Stein erstarrter Alptraum.
***
»Sie hat dich erwischt, ich hab’s gesehen«, sagte Shirley Everett, als ihr Mann zur Tür hereinkam. »Sag mal, was ist dir denn da eingefallen? Man guckt doch nicht durch anderer Leute Fenster. Sie muß eine schöne Meinung von uns haben.«
Everett ging an ihr vorbei, als wäre sie nicht vorhanden.
»Was hast du so lange dort drüben gemacht?« wollte seine Frau wissen.
»Tee getrunken«, sagte er einsilbig und setzte sich.
»Gehört ihr das Haus? Hat sie es gekauft?«
»Ja.«
»Und?« Shirley Everett war enttäuscht, weil ihr Mann so wortkarg war. »Wie ist sie? Was macht sie für einen Eindruck? Worüber hast du dich mit ihr unterhalten? Weißt du, wie sie heißt?«
»Sally Reynolds.«
»Hat sie einen Beruf? Sie ist wahrscheinlich Mannequin oder Fotomodell.«
Everett antwortete nicht. Er schien Probleme mit dem Atmen zu haben, bekam nicht genug Luft, pumpte heftig. Sein Brustkorb hob und senkte sich rasch, die Lippen verfärbten sich, wurden fahl und schlaff.
Shirley Everett erschrak. »Um Himmels willen, Robert, was ist mit dir?«
Sie legte ihm die Hand auf die Schulter, doch er wollte nicht, daß sie ihn berührte. »Faß mich nicht an!« schrie er und sprang auf.
»Robert, um alles in der Welt, sag mir, was du hast!«
Er hustete trocken, wankte durch das Wohnzimmer und lehnte sich neben dem Kirschholzschrank an die weiße Wand. Jetzt krümmte er sich und preßte die Arme gegen den Körper, als hätte er heftige Leibschmerzen.
»Tut dir etwas weh, Robert?« krächzte die Frau.
»Laß mich in Ruhe!« schnauzte er sie an.
»Soll ich Dr. Wynter anrufen?«
»Ich brauche keinen Arzt.«
Sein Gesicht veränderte sich, quoll an einigen Stellen auf, Beulen wuchsen ihm, während sich die Haut grünlich färbte.
»Großer Gott, Sally Reynolds muß dir Gift in den Tee getan haben!« stieß Shirley Everett bestürzt hervor. »Sie ist vielleicht eine Hexe. Natürlich, darum hat sie Oaks’ Haus gekauft. Sie wird seine grauenvolle Tradition fortsetzen. Und wir machten uns Sorgen um sie.«
Sie eilte zum Telefon. Ganz gleich, was ihr Mann sagte, Dr. Wynter mußte her. Robert brauchte Hilfe, es ging ihm
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