187 - Die Wolfshexe
die Sie sich normalerweise nie hergeben würden.«
»Nein«, antwortete Sally laut. »Ich denke, es ist an der Zeit, daß Sie mir eine Erklärung geben, Tony. Was stellen Sie mir für merkwürdige Fragen? Wie kann es eine Videoaufzeichnung von einem Mord geben, der nie verübt wurde?«
»Ich möchte, daß Sie mit mir zur Polizei gehen.«
»Wozu?«
»Damit die sehen, daß Sie nicht tot sind.«
»Ich finde diese ganze Angelegenheit absurd und verworren. Was hat das alles zu bedeuten? Ich dachte, wir wären Freunde, Tony. Aber Sie tauchen hier auf und wollen mich zur Polizei schleppen.«
»Sie müssen mich entlasten.«
»Wenn sich die Polizei davon überzeugen will, daß es mir gutgeht, soll sie hierher kommen. Ich denke nicht daran, sie aufzusuchen. Niemand setzt mich unter Druck. Ich bin frei in meinen Entscheidungen und möchte, daß Sie jetzt gehen.«
»Ich habe Ihnen noch nicht alles erzählt. Wollen Sie mehr hören?« fragte ich.
Ich sprach von der bis zur Unkenntlichkeit entstellten Leiche in ihrer Wohnung. Mal hatte sie auf dem Bett gelegen, dann war das Bett nur blutig gewesen, dann war das Blut weg gewesen, und die Tote hatte sich hinter der Tapete befunden, war herausgekippt und zu Staub zerfallen… Ich vergaß auch nicht zu erzählen, daß die Küche für mich zur Falle geworden war. Wenn es den Messern gelungen wäre, die Lade zu verlassen, wäre ich höchstwahrscheinlich nicht mehr in der Lage gewesen, Sally das alles zu berichten.
Sally sah mich so an, als glaubte sie mir kein Wort.
»Schwarze Kräfte treiben mit uns ein schäbiges Spiel«, sagte ich zu der jungen Reporterin. »Ich habe nicht die Absicht, deswegen aufzustecken, aber ich will keinen Zweifrontenkrieg führen: hier die schwarze Macht, da die Polizei. Ich muß mich auf eine Sache konzentrieren, deshalb ist es für mich sehr wichtig, daß Sie mich bei der Polizei entlasten. Ich muß darauf bestehen, Sally, und ich würde Sie nur sehr ungern dazu zwingen.«
»Mich zwingen? Das können Sie nicht. Was ich nicht tun will, tue ich einfach nicht.«
»Heißt das, Sie weigern sich, mit mir zu kommen? Warum? Haben Sie Angst, die Polizei könnte auf etwas stoßen, das besser verborgen bleiben sollte?«
Sally hob trotzig und stolz den Kopf. »Ich habe nichts zu verbergen!« behauptete sie.
Sie war heute ganz anders. Fast hätte man meinen können, ich hätte es mit ihrer - genauso hübschen, aber wesentlich weniger sympathischen - Zwillingsschwester zu tun.
Nun, wenn sie es auf eine Kraftprobe anlegte, wollte ich nicht klein beigeben. Ich griff blitzschnell nach ihrem Handgelenk. »Lassen Sie das!« zischte sie wütend. »Sie tun mir weh!«
»Sie lassen mir keine andere Wahl. Da gutes Zureden nicht hilft, muß ich Sie anders dazu bringen, mir gefällig zu sein.«
Sie wollte sich meinem Griff entwinden, doch meine Finger umschlossen wie Stahlklammern ihr Handgelenk. Sie wehrte sich immer heftiger, schien es nicht ausstehen zu können, wenn man sie zu etwas zwang, das sie partout nicht tun wollte.
Dabei verrutschte ihr brünettes Haar!
Es war eine Perücke! Als ich das sah, riß ich ihr das kurze Haar vom Kopf, und langes, goldblondes Haar kam zum Vorschein. Verdammt, mit wem hatte ich es da zu tun? Mein Vertrauen zu Sally Reynolds war schon seit geraumer Zeit dahin. Jetzt begegnete ich ihr mit doppelt soviel Mißtrauen.
Ich zerrte sie zur Tür und riß diese auf.
Da alarmierten mich die grellen Hilfeschreie einer Frau in höchster Bedrängnis. Ich konnte sie nicht ignorieren. Ich mußte helfen.
***
»Wissen Sie, wo Tony Ballard steckt?« fragte der vierschrötige Priester. Er hatte Tucker Peckinpah an der Strippe.
»Wer spricht?« wollte der Industrielle zuerst wissen.
»Pater Severin. Entschuldigen Sie, ich bin ein wenig durcheinander. Ich mache mir Sorgen um Tony. Er kam zu mir und sagte, er wäre in Schwierigkeiten, die Polizei suche ihn wegen Mordes an der Journalistin Sally Reynolds. Er bat mich, ihn zu verstecken.«
»Das haben Sie getan?«
»Ich weiß doch, daß Tony kein Mörder ist.«
»Davon versuche ich die Polizei seit Stunden zu überzeugen«, sagte Tucker Peckinpah, »aber es will mir nicht gelingen. Man ist nicht bereit, die Fahndung nach Tony Ballard abzublasen. Aber um Ihre Frage zu beantworten: Nein, ich weiß nicht, wo sich Tony zur Zeit befindet.«
»Ich denke, er wird sich früher oder später bei Ihnen melden«, sagte Pater Severin. »Würden Sie mich danach kurz anrufen?«
»Aber selbstverständlich,
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