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1886 - Nach der Apokalypse

Titel: 1886 - Nach der Apokalypse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannt
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hinderlich bin oder so", sagte sie. Sie schaute auf ihre Eltern hinab.
    „Möchtest du dich allein von ihnen verabschieden?" fragte Harro behutsam.
    „Warum? Sie sind tot", entgegnete sie hart. „Sie wissen doch gar nicht, daß ich noch da bin."
    Harro strich ihr sanft über die dunklen Locken. „Du darfst nicht böse auf sie sein", sagte er leise. „Sie haben ihr Bestes für dich getan. Ganz bestimmt. Glaub mir."
    Das kleine Mädchen nickte ernst.
    Dann hörte Mimi Motorenlärm, und ihre Augen weiteten sich.
    „Die Dscherro!" schrie sie, riß sich von Harros Hand los und rannte davon.
     
    6.
     
    Nonggo-Bauwerk (Kalkutta-Nord), derselbe Tag Bré Tsinga lenkte die Besucher-Gondel durch die dritte Ebene des Bauwerks; es war ein Teil, den sie bisher noch nicht besichtigt hatte. Sie erwartete natürlich nichts sensationell Neues, aber möglicherweise doch einen winzigen Unterschied zu den bisher erforschten Bereichen.
    Mehrmals ware sie nahe daran gewesen, einfach ein Loch in einen Hohlraum zu sprengen und Genhered hineinzubringen. Ihm visuell aufbereitete Ortungen zu zeigen brachte überhaupt nichts. Der Nonggo litt anscheinend weiterhin unter Amnesie, er war nicht in der Lage, über alltägliche Dinge seines Volkes zu berichten, geschweige denn über wichtige soziologische und wissenschaftliche Zusammenhänge. Wenn überhaupt Erinnerungen zurückkamen, dann nur häppchenweise und durch spontane Assoziationen ausgelöst.
    Manchmal versuchte er, etwas mitzuteilen, doch er verlor rasch den Faden und konnte sich nur in verwirrenden, unzusammenhängenden Sätzen äußern.
    Das sonst sehr ausdrucksvolle, zwar nur zehn Zentimeter breite, aber dafür rund dreißig Zentimeter hohe, nasenlose Gesicht mit den tiefliegenden runden braunen Augen war bei Genhered völlig glatt. Er verzog niemals eine Miene. Bré, die durch die Kommunikation mit Zygonod und Galtarrad ein wenig über die Sensibilität der Nonggo gelernt hatte, provozierte ihn öfter, aber es geschah gar nichts. Kein Muskel zuckte, keine Hautpartie flatterte.
    „Horchst du in dich hinein?" fragte sie, als sie Genhered dabei ertappte, wie er wieder einmal den Kopf schief legte.
    „Ich versuche zu tauchen", lautete die Antwort. „Aber ich kann es nicht mehr."
    „Kann ich dir dabei helfen?"
    „Nein. Mit meiner Aussetzung habe ich die Fähigkeit verloren. Aber ich bin so daran gewöhnt, daß ich es .."immer wieder versuchen muß", seufzte Genhered.
    „Das tut mir leid", meinte Bré aufrichtig. „Wenn ich das richtig verstehe, taucht jeder Nonggo."
    „Von Geburt an."
    „Für mich sieht es so aus, als ob du in dich hineinhorchen würdest, weil es einer menschlichen Geste sehr nahekommt. Kann ich das damit vergleichen?"
    Genhered richtete kurz seine Augen auf sie. „Das weiß ich nicht", sagte er leise und traurig. „Ich kann es nicht erklären. Es ist der schlimmste Verlust für mich."
    Nach einiger Zeit merkte Bré, daß Genhered zu ermüden schien. Seine mehr als zwei Meter große, extrem dünne Gestalt schien in sich zusammenzusinken. Seine ‘hastigen Atemzüge, die er nur dreimal in der Minute durch den schmallippigen Mund ausführte, klangen hektischer als normal. Dieses Verhalten bemerkte sie zum ersten Mal; als ob der Nonggo sich tatsächlich einmal auf sie konzentriert hätte, was ihn aber viel Kraft kostete.
    „Sollen wir umkehren?" fragte sie.
    Der Nonggo reagierte nicht. Teilnahmslos betrachtete er die Gänge des Bauwerks, durch die die Gondel langsam hindurchflog. Wieder ein hektischer Atemzug. Dann riß er sich plötzlich in einer heftigen Bewegung den Umhang vom dürren Leib.
    „Ich will ihn nicht mehr tragen", rief er aus, „ich bin dessen nicht würdig!"
    Bré stoppte erschrocken die Gondel und hob die prächtige Nonggo-Kleidung auf. „Genhered, warum sagst du das? Das ist doch nicht wahr. Du hast etwas Großartiges geleistet!"
    „Das ist vorbei", klagte der Verbannte. „Ich kann nicht mehr tauchen, nie mehr. Mein Volk ist unerreichbar weit entfernt. Ich habe meine gerechte Strafe erhalten und muß sie endlich annehmen. Ich darf den Umhang nicht mehr tragen!"
    Die Psychologin machte sich Vorwürfe. Die Fragen nach dem Schieflegen des Kopfes hatten etwas in Genhered ausgelöst, das erschreckend war. Er war aus seiner Apathie herausgerissen worden, aber in negativem Sinne. Das konnte ihre Arbeit zunichte machen!
    „Bitte, Genhered." Sie hielt dem Nonggo den Umhang hin. „Sie haben ihn dir gelassen. Das ist ein Zeichen, daß du sehr

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