1887 - Unsichtbare Siganesen
nur in der Außenansicht, auch im Innern der Burg trat ein offensichtlicher Anachronismus zutage: In den Etagen unterhalb der Lebenserhaltungssysteme stießen die Siganesen auf Konverter und Speicherbänke, die den auf Camelot gebräuchlichen Aggregaten kaum nachstanden. Kein Wunder, daß die Schutzschirme der Burg dem Angriff der 800-Meter-Raumer widerstanden hatten. Vielleicht hätte ein Einsatz von Transformgeschützen Gousharans Schutz durchbrochen, doch hätten selbst schwächste Kaliber entsetzliche Folgen für den eurasischen Kontinent gezeigt, nach dem altterranischen Motto „Operation gelungen, Patient tot".
Neben all diesen Zeugnissen hochstehender Technik hatten die Dscherro ihre Trophäen angebracht. Da hingen schwere Rüstungen ebenso wie die Chitinpanzer mehrfach mannsgroßer Insekten, daneben bizarre, unbrauchbar gewordene Waffen. Skelette besiegter Feinde, die erkennen ließen, mit welcher Wucht sie getötet worden waren, im Anschluß ausgeglühte, zerfetzte Wrackteile irgendwelcher Fahrzeuge. Mumifizierte Leichen in Schaukästen ließen die Frage offen, ob es sich um Tiere oder Intelligenzen gehandelt hatte; auf jeden Fall waren sie es den Dscherro wert gewesen, sie zur Schau zu stellen.
„Diese Burg ist ein Schreckenskabinett", stöhnte Rosa. „Wenn ich mir vorstelle, daß eines Tages auch unsere Köpfe da..."
„Der Schädel eines Haluters vielleicht", unterbrach Arno Wosken sarkastisch. „Aber Was wollen die Gehörnten mit uns anfangen?"
„Möglich, daß sie uns hinter vorgeschaltetem Vergrößerungsfeld ausstellen würden", konterte die Siganesin.
Sie schwebten nur wenige Zentimeter über dem Boden durch einen schier unüberschaubaren Irrgarten aus Versorgungsaggregaten. Hoch über ihnen polterten Dscherro über wuchtige Laufgitter, aber keiner der Gehörnten verschwendete einen Blick in die Tiefe. Abgeseheri davon hätten sie die drei Siganesen unter den gegebenen Bedingungen ohnehin kaum entdecken können.
Inmitten all der Tahks und Maschinenblöcke kam ein Antigravschacht, breit genug, um den Transport sperriger Aggregate zu ermöglichen. Ein ausgespartes Oval in der Decke fiel den Siganesen zuerst auf, gleich darauf entdeckten sie eine entsprechende Öffnung im Boden, die sich nach unten über unzählige Decks fortsetzte. Es gab keine Verkleidung, nichts, was auf Anhieb die Funktion verraten hätte. Außerdem war das Zugfeld desaktiviert, wurde wohl nur bei erforderlichenTransportvorgängen in Betrieb genommen.
Am Schachtrand stehend, blickte Rosa in die Tiefe. Ihr Armband-Display lieferte eine grafische Darstellung. Etwa zweihundertfünfzig Meter unter ihr endete der Schacht, das bedeutete also auch, daß die Burg ebenso tief im Faktorelement verankert war. Aber dort unten gab es nur Maschinenanlagen.
Fünfzig Meter von den Dscherro entfernt, die allem Anschein nach Wartungsarbeiten verrichteten, schwebten die Siganesen am Rand des Deckendurchbruchs nach oben. Erst nach knapp der dreifachen Distanz endeten die Maschinendecks und der große Schacht. Der weitere Weg führte entweder über Treppenanlagen oder über kleinere Antigravschächte in die Höhe.
„Um die Maschinenhallen können wir uns später kümmern", sagte Domino Ross. „Ich zweifle an, daß von hier aus die Verteidigungsfunktionen der Burg lahmzulegen sind. Außerdem will ich erst wissen, wo die Geiseln festgehalten werden."
Auch im Inneren erinnerte Gousharan an einen unregelmäßig zusammengefügten Termitenhügel. In den Maschinenräumen war der labyrinthartige Aufbau noch nicht so deutlich geworden, doch die darüberliegenden Etagen zeigten eine Vielfalt von verschlungenen Gängen, die großräumige Gewölbe abteilten; viele Räume erinnerten an Höhlen, die mit einfachen Mitteln in metallisch glänzenden Fels gegraben worden waren. Auf gerade Wände stießen die Siganesen höchst selten, alles schien irgendwie in Bewegung, in stetem Fluß zu sein, und es hätte keinen der drei verwundert, hätten sich urplötzlich vor ihren Augen Trennwände verschoben oder neu gebildet.
In riesigen Lagerhallen war das Beutegut der Dscherro gestapelt.
„Was wollen sie bloß mit all dem Zeug?" entfuhr es Rosa angesichts der schier endlos langen Regalreihen. Formenergie wurde hier teilweise eingesetzt, um dem unterschiedlichen Platzbedarf gerecht zu werden, und die fast schon pedantische Ordnung stach ins Auge. Nach allem, was sie bisher von den Dscherro gesehen hatten, hätten die Siganesen ihnen niemals einen solchen
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