1889 - Gefangen in Terrania
antwortete die Zentrale von SolTel „Eine der größten menschlichen Tragödien während der Dscherro-Invasion neigt sich ihrem Ende zu", begann Katie Joanne in der theatralischen Sprache, die der Sender in dieser Situation von ihr verlangte.
Sie kapselte sich innerlich gegen das Geschehen ab, unterdrückte alle Gefühle und bemühte sich, kalt und unbeteiligt zu bleiben. Sie konnte nicht anders. Hätte sie ihren Emotionen nachgegeben, wäre sie nicht in der Lage gewesen, den Report zu machen.
Die Geiseln waren aufmerksam geworden. Nach und nach standen alle auf, rührten sich jedoch nicht vom Fleck. Sie trauten dem Frieden nicht und glaubten an eine weitere Gemeinheit der Dscherro.
Eine junge Frau machte schließlich den Anfang.
Sie löste sich aus der Menge und ging auf eine Lücke zwischen den Ruinen zu, die bisher von den Gehörnten bewacht worden war. Katie Joanne folgte ihr mit ihrer Kamera, nahm ihr Gesicht formatfüllend auf, machte die Angst und die Unsicherheit deutlich, die sich darin abzeichneten.
Zunächst kommentierte sie, dann ließ sie die Bilder für sich selbst sprechen.
Die Frau erkannte, daß der Weg frei war. Sie begann zu rennen. Tränen liefen ihr über das abgemagerte, verschmutzte Gesicht, und ihr Mund öffnete sich zu einem lautlosen Schrei.
Jetzt kam Bewegung in die Menge. Mehrere Männer und Frauen drängten sich entschlossen nach vorn, bahnten sich ihren Weg und eilten ebenfalls auf die Lücke zwischen den Ruinen zu.
Das war das Signal.
Die Gefangenen begriffen, daß ihre Leidenszeit zu Ende war, und eine panikartige Flucht setzte ein.
Plötzlich wollte jeder so schnell wie möglich aus dem Lager auf dem Canopus Boulevard heraus. Die gequälten Menschen stürmten nach vorn, stießen Schwächere zur Seite, getrieben von der Angst, die Dscherro könnten zurückkehren und sie wieder einsperren.
Der Weg war nicht in der Lage, so viele Menschen aufzunehmen. Nur wenige konnten sich nebeneinander gehend hindurchzwängen. Ein Stau bildete sich, der rasch größer wurde, doch endlich begriffen die Geiseln, daß es nicht nur einen Weg gab. Die Ruinenlandschaft rund um sie herum war offen und frei. Sie brauchten nur über die Trümmerberge zu kriechen.
Cistolo Khan und sein Team handelten blitzschnell. Mit Hilfe des Mondgehirns NATHAN liefen die Hilfsaktionen an.
Sie schickten zahllose Roboter und Gleiter. Über Lautsprecher wandten sich die Besatzungen an die freigelassenen Gefangenen, wiesen ihnen den Weg und versuchten verzweifelt zu verhindern, daß die Menschen in den Trümmern sich gegenseitig niedertrampelten und verletzten.
Katie Joanne fuhr ihre Kameras in die Menge hinein. Sie fing Bilder ein, wie man sie auf der Erde noch vor zwei Wochen für unmöglich gehalten hatte. Sie zeigte, wie einige Menschen auf allen vieren in die Freiheit krochen, wie manche Verletzte und Tote zurückließen, ihre Würde dem nackten Überlebenswillen opferten.
Minuten nur dauerte die Massenflucht, dann hatte’ sich der Canopus Boulevard weitgehend geleert.
Zahlreiche Gleiter landeten in dem verlassenen Lager, um Verletzte, Kranke und Tote aufzunehmen und auszufliegen.
Katie Joanne beendete ihren Report und zog sich erschöpft zurück. Sie fühlte sich leer und ausgebrannt.
Astra Hossaiini meldete sich aus dem SolTel-Gebäude.
„Ruh dich aus", befahl sie ihr. „Du hast nicht viel Zeit. Alle Anzeichen deuten darauf hin, daß die Verhandlungen mit den Dscherro beginnen. Bei Khan ist man ziemlich nervös."
Katie Joanne sammelte ihre Kameras ein und verstaute sie in einer Tasche, die sie auf dem Rücken trug.
Sie versuchte die Bilder zu verdrängen, die sich ihr seit dem Abzug der Dscherro vom Canopus Boulevard geboten hatten.
Es gelang ihr beim besten Willen nicht.
Als sie sich auf den Weg zum SolTel-Gebäude machen wollte, rauschte und heulte ein Chresch heran.
Die ovale Flugscheibe war mit einem Dscherro besetzt und zog eine lange, stinkende Rauchfahne hinter sich her.
Mit einem Höllenlärm umkreiste der Gehörnte sie, während Katie wie gelähmt auf der Stelle stehenblieb. Dann raste er auf sie zu, als wollte er sie rammen stoppte die Maschine unmittelbar vor ihr und befahl: „Aufsteigen!"
Sie blickte ihn fassungslos an. Chreschen waren Ein-Mann-Scheiben, auf denen gerade Platz für einen Dscherro war. Wo sollte sie stehen? Wie sollte sie sich darauf halten?
Er richtete seinen Bogantöter auf sie.
„Los!" drängte er. „Du steigst sofort auf, oder du bist tot!"
Der
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