19 - Am Jenseits
dann der Dscherid geworfen und zuletzt gerungen. Wir beginnen gleich, denn wir haben keine Lust, zu warten; in einer Viertelstunde seid ihr alle drei über die Brücke des Todes gegangen! Dann aber erwarte ich, daß ich den Kanz el A'da bekomme! Was versprochen und gar noch mit einem Schwur bekräftigt worden ist, das muß gehalten werden. Versprecht es mir nochmals!“
„Wir halten unser Wort“, erklärte Halef. „Und du?“
„Ich auch. Der Sieg ist uns zwar gewiß, aber für den Fall, daß er uns nicht wird, habe ich versprochen, diese Gegend mit meinen Kriegern sofort zu verlassen und für den heutigen Tag Frieden zu halten. Das würde ich tun, denn Tawil Ben Schahid, der berühmte Scheik der Beni Khalid, hat noch nie sein Wort gebrochen, und so wäre ihm auch der heutige Schwur heilig. Jetzt werde ich sechzig Schritte abmessen.“
„Und die Kugeln vorzeigen!“ erinnerte Halef.
„Das tue ich nicht. Ich gebe euch mein Wort, daß nur mit Kugeln geschossen wird, und das muß euch genügen. Wir wollen nicht verwunden, sondern töten; da kann es uns gar nicht einfallen, Schrot zu nehmen.“
Das war uns auch recht, denn wie hätten wir ihm beweisen wollen, daß Karas Patronen keinen Schrot enthielten?
Die Entfernung wurde abgeschritten, und die beiden Schützen stellten sich auf. Wir hatten auf unserer Linie hinter Kara auch einen freien Raum gelassen, um von den ihr Ziel verfehlenden Kugeln nicht getroffen zu werden. Der betreffende Ben Khalid schwang sein Gewehr und warf, wie das bei den Beduinen so gebräuchlich ist, seinem Gegner eine Menge Ausrufe zu, welche sich auf seine angebliche unübertreffliche Fertigkeit im Schießen bezogen. Beleidigend aber wurde er nicht. Man schien also entschlossen zu sein, die gestellten Bedingungen auch in dieser Beziehung einzuhalten. Kara sagte nichts.
Nun setzte ich mich mit dem Perser zu Hanneh. Sie schaute unbesorgt und munter drein und sagte:
„Sihdi, es gibt in mir, vielleicht auch in jedem andern Mutterherzen, eine Stimme, welche mich zu warnen pflegt, wenn meinem Sohn Kara etwas Unerwünschtes begegnen soll. Ich habe dann eine ungewisse Angst in mir, welche mir die Ruhe raubt, bis das Ereignis vorüber ist. Da ich diese Stimme jetzt nicht vernehme, so bin ich überzeugt, daß Kara sich außer aller Gefahr befindet. Darum bin ich heiter und lasse Allah walten!“
Jetzt gab Tawil Ben Schahid das Zeichen, daß das Schießen begonnen werden könne. Wann und in welcher Reihenfolge dies zu geschehen habe, darüber war nichts gesagt worden. Es konnte sich jeder der beiden Duellanten verhalten, wie ihm gutdünkte.
Der Ben Khalid hielt seinen Körper in einer herausfordernden Stellung, als ob er erwarte, daß zunächst auf ihn geschossen werde. Dies geschah aber nicht. Da wurde ihm die Zeit zu lang, er legte sein Gewehr an und zielte. Ich richtete nun meine Augen auf Kara, ob ein Zucken seines Körpers uns sagen werde, daß er getroffen worden sei. Der Schuß krachte. Kara stand still und machte erst nach kurzer Zeit, sich zu uns umdrehend, eine Handbewegung der Geringschätzung für die Gegner und der Beruhigung für uns. Die Kugel war vorübergegangen. Halef, welcher mit Omar Ben Sadek neben uns stand, sagte, indem er in väterlichem Stolze glücklich lächelte:
„Seht ihr ihn stehen? Wie eine Mauer! Er hat nicht mit einem Finger gezuckt, als der Schuß fiel! Wenn das der beste Schütze ist, den die Beni Khalid haben, so dürfen sie sich vor uns nicht sehen lassen.“
„Ob unser Sohn ihm wohl den Schuß zurückgeben wird?“ fragte Hanneh gespannt.
„Ich glaube es nicht, denn er hat das Gewehr an den Fuß genommen und rührt sich nicht. Allah, Allah! Ich danke dir! Wie getrost und stolz er dasteht! Es ist eine Wonne, ihn zu sehen! Du siehst hier, Effendi, die Erfolge deiner und meiner Lehren. Wie freue ich mich über ihn! Er zeigt, daß er einem Stamm angehört, dessen Kriegern eine pfeifende Kugel ist wie nichts. Er macht uns Ehre, wirklich Ehre! Schaut doch dagegen den andern an!“
Ich konnte die Gefühle meines Halef und seiner Hanneh gar wohl begreifen; war es doch jetzt das erste Mal, daß ihr Liebling sich im offenen Zweikampf zu bewähren hatte! Wenn man das lebhafte Temperament des Beduinen in Rechnung zieht, so war die kalte Ruhe, welche der Jüngling zeigte, sehr anzuerkennen. Ein anderer hätte lebhaft gejubelt und seine Freude über die Vergeblichkeit des Schusses in lärmender Weise geäußert.
Diese Ruhe und Stille herrschte überhaupt auf
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