19 - Am Jenseits
das Böse zwar widerstreben kann, doch endlich unterliegt. El Aschdar ist ein unermüdlicher und starker Feind, der immerwährend auf der Lauer liegt. Auch dich hat er nicht etwa freigegeben; er wartet nur, und kommt der Augenblick, an dem du eine Schwäche deiner Seele zeigst, so schlägt er seine Krallen plötzlich ein, und dann beginnt der schwere Kampf mit seiner Macht von neuem. Ich seh' ihn lauern hier an deinem Wege; schon speit er seinen Geifer dir entgegen; es kommt mit ihm bald zum Zusammenprall; drum sei darauf bedacht, daß du dich seiner wehrst!“
Als er jetzt für einen Augenblick innehielt, schwebte mir eine Erkundigung auf der Zunge. Als ob er diesen meinen Gedanken lesen könne, sagte er:
„Wer dieser Drache ist, das möchtest du gern wissen?“
„Ja“, antwortete ich.
„Der Abfall ist's von Gott. Nicht nur der äußere Übertritt von einem Glaubenspfad zum andern ist gemeint; El Aschdar ist das Renegatentum vom Reiche, dessen Bürger du jetzt bist, nach dem Gebiete der Lieblosigkeit. Hab acht, daß du den ersten Schritt nicht tust! Ihm folgt der andre nach, und ehe du es merkst, daß du den Pfad verlassen hast, bist du schon fern von ihm. Ich warne dich nicht nur in diesem Augenblick. Zwar werde ich dich heut verlassen müssen, doch führt mein Weg mich wieder zu dem deinen. Ich wurde jetzt gebeten, dir zu sagen, daß du dem Drachen grad entgegengehst. Es ist ein Kampf mit ihm nicht zu vermeiden, und darum soll ich dir ein Zeichen geben, wenn er die Tatzen hebt, um dich zu fassen. Du wirst mich im Momente der Gefahr das Wort ‚El Aschdar‘ dreimal rufen hören. Sobald du es vernimmst, weich schnell zurück vor dem Entschluß, den du vollbringen willst; er würde dich ins unvermeidliche Verderben führen!“
Er hatte die Hand erhoben und so dringend gesprochen, als ob es sich wirklich um eine Gefahr für mich handle. Nun ließ er die Hand wieder sinken und sprach mit weniger lauter Stimme:
„Der schwache Körper, welcher vor dir steht, ist durch Verführung dir zum Feind geworden; ich bitte dich, entzieh ihm dennoch nicht die Liebe, deren er so sehr bedarf, dahin zu kommen, wo er landen soll! Zusammen hab ich dich mit ihm geführt, zum Heile ihm und dir zur schönen Übung. Verzeih' ihm, was er nur im Irrtum tut, und bleib ihm Freund trotz seines Widerstrebens! Ich weiß im heiligen Mekka ein Gemach, in dem drei Decken des Gebetes liegen; von roter Farbe zwei, die sind es nicht; der Grund der mittleren ist blau gefärbt, gestickt mit goldenen Sprüchen des Korans; das ist die richtige; dort findest du das Ziel schon deiner jetzigen Gedanken und auch zugleich den Schlüssel für die Tat, die ihm den Glauben bringt und euch die Rettung. – Nun hab ich dir das Nötige gesagt. Geh also hin, wo man dich schon erwartet! Halt fest an dem, was dir gegeben ist, und bleib ein guter Mensch! Leb wohl, doch nicht für immer!“
Nach diesen Abschiedsworten verließ der Münedschi die Stelle, an welcher er stand. Er schritt an mir vorüber und ging zurück, geraden Weges wieder auf den Brunnen zu. Ich hatte mit dem Rücken nach dieser Gegend gestanden. Als ich mich umdrehte, sah ich die Beni Khalid kommen, im Westen des Brunnenfelsens, also so, wie es dem Boten gesagt worden war. Meine Anwesenheit war also dort geboten. Hatte das der Blinde gemeint, als er sagte, ich solle dahin gehen, wo man mich schon erwarte? Sonderbar! Ich ging also, ohne Zeit zu haben, über das nachzudenken, was mir gesagt worden war. Freilich wollte sich mir ganz besonders das einprägen, was ich über das ‚Gemach in Mekka‘ gehört hatte. Das war ja wie eine Prophezeiung gewesen! Drei Decken oder Teppiche des Gebetes, der mittlere blau mit goldgestickten Koransprüchen! Dieser mittlere sollte es sein. Was denn? Meine Gedanken seien schon jetzt auf dieses Ziel gerichtet! Ich hatte allerdings schon wiederholt im stillen die Idee gehabt, daß El Ghani, welcher den Blinden so auszunützen wußte, auch schuld an den großen Verlusten sei, über welche der Münedschi geklagt hatte. War etwa das gemeint? Und Rettung sollten wir durch diesen Teppich finden? Rettung kann sich nur auf eine Gefahr, eine Not, eine Bedrängnis, überhaupt auf etwas nicht Wünschenswertes beziehen. Erwartete uns dort so etwas? Denkbar war dies allerdings, zumal nach dem Zusammentreffen mit El Ghani und seinen Leuten! Und El Aschdar, der Drache! Er laure schon auf mich, und der Zusammenstoß mit ihm sei unvermeidlich!
Ich mußte dieses Sinnieren
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