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19 - Am Jenseits

19 - Am Jenseits

Titel: 19 - Am Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Schlafende, mit geschlossenen Augen; sie sehen nicht die Beweise eines ewigen Lebens, und wenn sie die Stimmen Allahs und seiner Boten hören, so glauben sie, zu träumen, und folgen ihnen nicht. Aber dann, wenn der Tod sie aus diesem Schlafe rüttelt und sie die Augen öffnen müssen, dann sehen sie sich unvorbereitet jenseits der großen Grenze, über welche sie nicht zurückkönnen, um das Versäumte nachzuholen. Dann wird ihr Erwachen ein Beben und ihr Sehen ein Erschrecken sein.“
    „Allah, Allah!“ rief er da aus. „Ich glaubte, auf die Erde zurückgekehrt zu sein, und befinde mich doch noch bei dir, der du mich geleitet hast! Nein, du bist nicht El Ghani, der niemals solche Worte hat. Nimm mich wieder bei der Hand, und sage mir, ob ich auch zu denen gehöre, die mit geschlossenen Augen leben und deren Erwachen so schrecklich sein wird!“
    „Hast du die Liebe?“
    Warum tat ich grad diese Frage? Wohl weil ich kurz vorher mit den Haddedihn von der Liebe gesprochen hatte. Das Verhalten und die Worte des Arabers waren mir nicht klar. Ich wußte nicht eigentlich, wen er mit ihnen meinte. Die Szene war überhaupt eine ganz eigenartige. Rings um uns die verbrannte, unbegrenzte Wüste, über welcher auch noch jetzt die Geier hungrig schwebten, die während der Nacht wohl in unserer Nähe gesessen hatten, die grotesken Formen der hochbeinigen, höckerigen Kamele, der andächtige Kreis der phantastisch gekleideten Beduinen, der rätselhafte, fremde Mann hier neben dem offenen Grab mit seinen mir unerklärlichen Reden, unser vorhergehendes, religiöses Gespräch und die Stimmung, in welcher ich mich infolgedessen befand, dazu die Bedeutung des wie mit aus dem Grab auferstandenen Ali-Spruches, das alles zusammen mochte als Ursache wirken, daß ich nichts anderes als nur diese Frage brachte.
    „Die Liebe?“ antwortete er. „Wird grad sie so wichtig für den Augenblick des Erwachens aus dem Schlafe sein?“
    „Nur sie allein ist wichtig. Sie ist das Öl der Lampe, ohne welche du den rechten Weg nicht finden kannst.“
    „Das Öl? Der Lampe?“ fuhr er aus seiner noch immer wie lauschenden Haltung empor. „Das klingt ja wie der Gang der Jungfrauen zur Nikiah (Hochzeit)!“
    „Ja“, fiel ich unter dem Eindrucke dieses Wortes, ohne zu bedenken, daß ich einen Moslem vor mir hatte, der nicht wissen durfte, daß ich Christ war, schnell ein. „Das Himmelreich wird gleich sein zehn Jungfrauen, welche ihre Lampen nahmen, um auszugehen, dem Hochzeitszug entgegen. Fünf von ihnen waren töricht und fünf aber klug; die fünf Törichten nahmen zwar ihre Lampen, aber sie nahmen kein Öl mit sich; die Klugen hingegen aber nahmen samt den Lampen auch Öl in ihren Gefäßen mit. Als nun der Bräutigam verzog, wurden alle müde und entschliefen. Um Mitternacht aber erhob sich ein Geschrei: Siehe, der Bräutigam kommt; gehet heraus, ihm entgegen! Da standen alle diese Jungfrauen auf und richteten ihre Lampen zu. Die Törichten aber sprachen zu den Klugen: Gebt uns von eurem Öl, denn unsere Lampen verlöschen! Da antworteten die Klugen und – – –“
    Bis hierher war ich gekommen, doch weiter kam ich nicht. Während ich erzählte, ging mit dem Münedschi eine ungewöhnliche Veränderung vor, ungewöhnlich wenigstens in Beziehung auf seinen Schwächezustand. Es war, als ob seine Adern sich mit neuem Blute füllten und seine Nerven neuen Lebensreiz bekämen. Er richtete seinen Oberkörper auf, höher und immer höher. Seine Augen öffneten sich und richteten ihren strahlenden, unbeschreiblichen Blick auf mich; die Falten seines Gesichtes schienen sich zu füllen, und das Spiel der Mienen wurde von Satz zu Satz, den ich sprach, immer lebhafter, bis er, beide Hände gegen mich ausstreckend, mich mit dem ängstlich abwehrenden Ruf unterbrach:
    „Halt ein; halt ein! Ich mag nichts weiter hören! Ich habe mich in dir geirrt. Du bist nicht der, der vorhin noch bei mir war und für den ich dich bis jetzt gehalten habe!“
    „So sag, wer du dachtest, daß ich sei!“
    „Ben Nur (Sohn des Lichtes), der Bote des Propheten.“
    „Der bin ich nicht und kenne ihn auch nicht. Sein Name steht in keinem Buch verzeichnet, welches von dem Propheten handelt.“
    „In keinem irdischen Buche, aber im Kitab et Tubanijin (Buch der Seligen) ist er zu finden. Nun weiß ich nicht, wo ich jetzt bin, denn du bist nicht Ben Nur und bist auch nicht El Ghani. Bin ich noch im Lande der Verstorbenen, oder kehrte ich schon wieder auf die Erde

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