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19 Minuten

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Titel: 19 Minuten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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...«
    »Okay, okay, ich war in Chemie nie eine Leuchte. Hast du gefrühstückt?«
    »Kaffee«, sagte Josie.
    »Kaffee zählt nicht.«
    »Aber schon, wenn du es eilig hast«, entgegnete Josie.
    Müsste eine Siebzehnjährige nicht in der Lage sein, sich morgens allein zu versorgen? Alex beschloss, sich um weitere fünf Minuten zu verspäten, und holte Eier, Milch und Schinkenspeck aus dem Kühlschrank. »Ich musste mal entscheiden, ob eine Frau gegen ihren Willen in der Psychiatrie bleiben sollte. Sie hielt sich für Fernsehkoch Emeril, und ihr Mann hatte sie einweisen lassen, nachdem sie ein Pfund Schinkenspeck im Mixer püriert hatte und dann mit einem Messer auf ihn losgegangen war.«
    Josie blickte von ihrem Buch auf. »Echt?«
    »Oh, glaub mir, so was denke ich mir nicht aus.« Alex schlug zwei Eier in die Pfanne. »Als ich sie fragte, wieso sie den Schinkenspeck püriert habe, hat sie mich bloß angesehen und gesagt, sie und ich hätten wohl unterschiedliche Methoden in der Küche.«
    Josie stand auf und lehnte sich gegen die Arbeitsplatte, schaute ihrer Mutter am Herd zu. Kochen war nicht gerade deren Stärke.
    »Entspann dich«, sagte Alex trocken. »Ich krieg das hin, ohne das Haus abzufackeln.«
    Aber Josie nahm ihr trotzdem die Pfanne aus der Hand und legte die Schinkenspeckstreifen ordentlich nebeneinander hinein. »Wieso ziehst du dich so an?«, fragte sie.
    Alex sah an sich herunter, auf ihre Bluse, den Rock und die Pumps. »Wieso? Zu sehr wie Maggie Thatcher?«
    »Nein, ich meine... ist doch eigentlich egal, was du anhast. Sieht doch eh keiner unter der Robe. Du könntest, was weiß ich, einen Pyjama drunter tragen.«
    »Nun, man erwartet von mir, dass ich mich ... na ja, richterlich kleide.«
    Josies Gesicht verfinsterte sich, als hätte Alex irgendwie die falsche Antwort gegeben. Alex musterte ihre Tochter - die abgekauten Fingernägel, die Sommersprosse hinter dem Ohr, der Zickzackscheitel - und sah stattdessen das kleine Mädchen, das im Haus der Tagesmutter am Fenster wartete, wenn die Sonne unterging, weil sie wusste, dass Alex sie dann abholen kam. »Ich hatte zwar noch nie einen Pyjama bei der Arbeit an«, gab Alex zu, »aber manchmal schließ ich meine Bürotür ab und mache ein Nickerchen auf dem Fußboden.«
    Ein überraschtes Lächeln machte sich auf Josies Gesicht breit, nur für einen Moment. Dann legte sie den Speck zum Abtropfen auf Küchenpapier. »Ich kapier noch immer nicht, wieso ich was frühstücken muss und du nicht«, murmelte sie.
    »Weil man erst ab einem bestimmten Alter das Recht hat, sich zu ruinieren.« Alex zeigte auf die Eier in der Pfanne. »Versprichst du mir, dass du das isst?«
    Josie sah sie an. »Versprochen.«
    »Dann bin ich jetzt weg.«
    Alex nahm ihre Thermoskanne mit Kaffee. Als sie aus der Garage fuhr, kreisten ihre Gedanken bereits um die vielen Haftanträge, die seit Freitag bestimmt auf ihrem Schreibtisch gelandet waren. Sie war weit weg von zu Hause, wo ihre Tochter gerade das Rührei aus der Pfanne in den Mülleimer kratzte.
    Manchmal empfand Josie ihr Leben als ein Zimmer ohne Türen und Fenster. Es war ein Luxuszimmer, zugegeben, ein Zimmer, um das die halbe Sterling Highschool sie beneidet hätte, aber es war auch ein Zimmer, aus dem es kein Entrinnen gab.
    Josie hielt ihr tränennasses Gesicht in den Strahl der Dusche -das Wasser war viel zu heiß, ließ die Scheiben innerhalb weniger Sekunden beschlagen. Sie zählte bis zehn, dann stieg sie aus der Dusche und trat tropfnass vor den Spiegel. Ihr Gesicht war verquollen und rot. Das Haar klebte ihr in dicken Strähnen an den Schultern. Sie drehte sich seitlich, begutachtete ihren flachen Bauch und zog ihn ein wenig ein. Sie wusste, was Matt sah, wenn er sie betrachtete, was Courtney und Maddie und Brady und Haley und Drew sahen - sie wünschte nur, sie könnte es auch sehen. Wenn Josie in den Spiegel schaute, sah sie jemand, der sie nicht sein wollte, oder jemand, den keiner wollte.
    Sie wusste, wie sie auszusehen und sich zu verhalten hatte. Sie trug das Haar lang und glatt. Sie kaufte ihre Klamotten nur bei Abercrombie & Fitch und hörte Musik von Dashboard Confes-sional und Death Cab for Cutie. Sie genoss es, die Augen der anderen Mädchen an der Schule auf sich zu spüren, wenn sie sich in der Cafeteria Courtneys Make-up auslieh. Sie genoss es, wenn Lehrer bereits am ersten Unterrichtstag ihren Namen wussten. Sie genoss es, von Jungs angestarrt zu werden, wenn sie mit Matts Arm um ihre Taille den

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