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190 - Der Finder

190 - Der Finder

Titel: 190 - Der Finder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Zybell
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traten in eine kreisrunde Höhle von vielleicht zehn Metern Durchmesser.
    Es roch nach Feuer und Tierdung. Drei dürre Greise mit weißen Locken und rotweißen Tätowierungen auf der schwarzen Haut hockten um ein Feuer. Summend wiegten zwei von ihnen die Oberkörper hin und her. Der dritte drehte sich nach den drei Männern und der Frau um. Sein Blick war lauernd und tastete sie prüfend ab. In seinen Augen loderte etwas, das Clarice Braxton für Wahnsinn hielt, Victorius und Cahai aber für heilige Begeisterung.
    Er hieß Gauko’on. Unter den Anangu bedeutete das: Den die Wolken tragen, wohin er will. Cahai und Victorius wussten es plötzlich, und Vogler auch. Clarice wusste gar nichts.
    Da seid ihr also. Obwohl Gauko’on die Lippen nicht bewegte, schien seine Stimme von den Höhlenwänden widerzuhallen. Wer wird IHM zuerst begegnen?
    Clarice versteckte sich hinter Voglers Rücken, die drei Männer sahen einander an. Der Widerschein der Flammen zuckte an den roten Wänden. Cahai trat vor, hob den Arm und rief: »Ich!«
    ***
    Der Greis sah ihn an. Wie hell seine Augen leuchteten! Seine Gefährten verloren Farbe und Konturen, wurden zu Schatten und verschwammen erst mit den Anangu, die sie zur Höhle begleitet hatten, und dann mit der Höhlenwand. Das Feuer verblasste zu einem milchigen Fleck, verwischte die Gestalten der Greise. Was blieb, waren die lodernden Augen dessen, den die Wolken tragen, wohin er will . Wie goldene Sterne schienen sie inmitten der Dunkelheit.
    Woher er den Namen des Greises kannte? Cahai wusste es nicht. Er kannte ihn einfach.
    Wie ist es? Bist du bereit, mit mir zu gehen? Das war seine Stimme, die Stimme dessen, den die Wolken tragen, wohin er will , die Stimme Gauko’ons. So nannten sie ihn hier, und auch das wusste Cahai plötzlich. Antworte!
    »Ich bin bereit.« Cahai erschrak. Er wusste, dass es seine eigene Stimme war, die da von den Höhlenwänden widerhallte, doch sie war dünn und zitterte. Ja, sie kam ihm vor wie die Stimme eines Fremden.
    Plötzlich war ihm, als würden seine Knie nachgeben, und ein, zwei Atemzüge lang stürzte er in bodenlose Tiefe. Und schließlich, von einem Augenblick zum anderen, sah er einen grauen Himmel, einen Schwarm großer weißer Vögel, die im Schlamm herumtappten und quakten, und von irgendwoher kamen Stimmen.
    Cahai krabbelte durch den Entenschwarm und den Schlamm. Er war zwei, höchstens drei Jahre alt. Ein größeres Mädchen trieb die Enten über den Hof, seine älteste Schwester. Ein paar Hütten und ein halb zerfallenes Gebäude aus Stein rahmten den Hof ein. Seine Mutter und ein junger Mann verließen das steinerne Gebäude und gingen über den Hof. Obwohl er sich nicht an seinen Vater erinnern konnte, wusste Cahai, dass der junge Mann sein Vater war. Auch seine Mutter war jung, viel jünger, als Cahai sie in Erinnerung hatte.
    Sein Vater war wütend, er schrie. Das Gesicht seiner Mutter schien aus schmutzig grauem Stein gemeißelt zu sein.
    Cahai krähte nach ihnen, doch sie beachteten ihn gar nicht. Sie gingen zum Stall, bückten sich durch die kleine Tür und verschwanden dahinter. Cahais Mutter drückte sie hinter sich zu. Nur noch dumpf hörte der kleine Junge das wütende Geschrei seines Vaters – bis es jäh verstummte.
    Vorbei am schnatternden Federvieh und durch schlammigen Dreck krabbelte Cahai bis zur kleinen Luke, die den Enten als Schlupfloch aus dem Stall diente. Der Knabe zwängte sich hindurch, lauschte und spähte ins Halbdunkel.
    Er hörte ein Röcheln, und Geräusche, als würde jemand gegen die Stallwand treten. Als seine Augen sich ans Halbdunkel gewöhnt hatten, sah er drei Gestalten: seinen Vater, seine Mutter und einen Fremden. Der Fremde hielt seinen Vater von hinten fest – mit einer Drahtschlinge, die er ihm um den Hals gezogen hatte. Seine Mutter hockte auf der Brust seines Vaters und hielt ihm die Handgelenke fest. Sein Vater röchelte, warf den Kopf hin und her, versuchte sich loszureißen und strampelte mit den Beinen. Dabei trat er gegen einen Futtertrog oder gegen die Stallwand.
    Irgendwann ließ die Gegenwehr seines Vaters nach und er erschlaffte. Cahai krabbelte zurück auf den Hof. Sein kleines Herz schlug, als wollte es zerspringen. Er weinte. Seine große Schwester stand außen vor der Stalltür und lauschte. Sie entdeckte ihn, nahm ihn hoch und drückte ihn an sich.
    Die Szene verblasste. In schneller Folge rasten Bilder an Cahai vorbei: der Scheiterhaufen, auf dem die Leiche seines Vaters zu Asche

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