190 - Der Finder
und seine Tochter. Sie hielt ein kleines Kind in den Armen und spuckte ihn an, während er zu seinem Henker hinaufstieg. Der Fürst verfluchte ihn, und das kleine Kind weinte.
Der Henker war schwarz. Seine Maske schimmerte, als würde sich ein grelles Licht in ihr brechen. »Nein!«, schrie Cahai. »Ich will nicht sterben!« Kalter Schweiß brach ihm aus, er stemmte sich mit den nackten Füßen gegen das Podest und riss an den Ketten. »Ich will nicht!«
Er strampelte, schlug um sich, ließ sich fallen. Für einen Moment entglitt er den Griffen seiner Bewacher, robbte zurück zur Treppe und rutschte schreiend die Stufen hinunter. Doch schon waren die schwarzen Männer über ihm, packten seine Ketten und hielten ihn fest. Er hob den Kopf und schrie. Sein Blick begegnete dem seiner Geliebten. Einen Atemzug lang sahen sie einander an, dann schob sich ihr Vater, der Ruinenfürst, zwischen sie und Cahai, holte aus und schlug ihm die Faust ins Gesicht.
Für einen Moment schwand Cahai das Bewusstsein. Als er wieder zu sich kam, schleiften sie ihn über das Podest. Sein Kopf dröhnte, er schmeckte Blut. Die dunklen Gestalten zerrten ihn vor den Henker und richteten ihn auf. Ein Zahn hing ihm zwischen den Lippen. Sie rissen ihm den Kopf in den Nacken. Cahai musste in die Maske schauen. Sie schimmerte golden. Erst spiegelte sich sein blutendes Gesicht in ihr, dann blickte ihm Gauko’ons verwelkte Miene entgegen, und schließlich sah er den brennenden Felsen im Goldlicht lodern.
Angst schnürte ihm die Kehle zu. Sie stießen ihn zu Boden. Seine Ketten rasselten. Die Menge grölte. Jemand griff in sein Haar, packte seinen Kopf und drückte ihn auf einen Pflock. Cahai spuckte Blut aus und mit dem Blut zwei oder drei Zähne. Er sah den Schatten des Henkerbeils. Es hob sich langsam. Er konnte die Augen nicht schließen, konnte nicht atmen, konnte nicht schreien.
»Für wen bist du geboren?«, fragte eine Stimme, die ihn an die Gauko’ons erinnerte.
Der Kloß in seinem Hals löste sich. »Für dich«, hörte er sich krächzen.
»Für wen lebst du?« Die Stimme füllte seinen Kopf aus.
»Für dich.«
»Für wen stirbst du?«
»Für dich.«
»So sei es!« Cahai sah die Beilklinge herabsausen. Doch kein Schmerz fuhr in seinen Schädel, sondern ein Gefühl süßer Lust. Es durchströmte seinen Körper und war so intensiv, dass ihm Freudentränen aus den Augen schossen. »So sei es«, wiederholte SEINE Stimme. »Für mich, aber das sei aufgeschoben.« Eine Kraft hob ihn hoch und stellte ihn auf die Beine. »Und nun gehe hin und warte auf meinen Ruf, wo immer du bist.«
Cahai blickte sich um. Sein Mund war voller Blut. Er schluckte es herunter. Er fühlte sich seltsam leicht, er fühlte sich glücklich. Die Menge war verschwunden. Der Henker mit der goldenen Maske auch. Cahai stand in einer kreisrunden Höhle. Ein Feuer brannte.
Drei Greise sahen zu ihm herauf. Einer hatte strahlende Augen, er lächelte – Gauko’on.
Cahai drehte sich um. An den Höhlenwänden standen Anangu und vor ihnen die beiden dünnen, hoch gewachsenen Fremden, die sich Vogler und Clarice nannten, und der hünenhafte Schwarze mit der rosafarbenen Perücke und dem blauen Frack. Sie sahen ihn an. Ihre Blicke waren neugierig und ängstlich.
Wieder schluckte Cahai Blut. Mit der Zunge tastete er von innen seinen Kiefer ab. Mindestens drei Schneidezähne fehlten. Nicht schlimm. Er fasste den Schwarzen am Frackärmel. »Freue dich, Victorius«, sagte er. »Es ist wunderschön, IHM zu begegnen…«
***
Er tauchte aus der Bewusstlosigkeit auf und dachte seinen Namen: Daa’tan. Er hörte ihre Stimmen, als sie ihn ablegten. Nur den eigenen Namen nicht vergessen , dachte er. Solange du noch weißt, wer du bist, lebst du noch. Daa’tan. Sie flößten ihm irgendetwas ein.
Es schmeckte ölig, ranzig und bitter. Sie hielten ihm die Nase zu, und er schluckte es.
Er spürte, wie sie ihn wieder hochnahmen. Sein Kopf schmerzte, sein Nacken fühlte sich an, als hätten sie ihm einen Eisenkeil hinein getrieben. Einen Atemzug lang schaffte er es, die Augen zu öffnen.
Er blinzelte in Fackeln und wütende Grimassen, sah rote Haarzöpfe mit grünen Strähnen. Auch ein paar Sterne sah er am Nachthimmel glitzern, doch nur kurz.
Verstört schloss er die Augen und versank wieder in Bewusstlosigkeit.
Als er das nächste Mal zu sich kam, hörte er viele Stimmen rechts und links von sich. Er versuchte seine Glieder zu spüren und begriff, dass sie ihn in ihr Lager
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