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190 - Der Finder

190 - Der Finder

Titel: 190 - Der Finder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Zybell
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hinein trugen. Bohrender Kopfschmerz quälte ihn, Angst würgte seine Kehle und Wut nagte in seinen Gedärmen. Die Erinnerung kehrte langsam zurück, und wie ein Film lief der kurze und heftige Kampf vor seinem inneren Auge ab.
    Hier ist Daa’tan , rief er in Gedanken. Du musst mir helfen, Grao!
    Daa’tan ruft dich! Hilf mir…!
    Er wagte jetzt nicht mehr die Augen zu öffnen. Er wollte sie nicht sehen, diese groben Rotzöpfe, und solange sie ihn für bewusstlos hielten, würden sie ihm nichts tun, oder?
    Er spürte, wie sie ihn eine Anhöhe hinauf trugen. Ich bin so allein, ich hab solche Angst… wo bist du, Grao? Wo bist du, Mutter?
    Der Gedanke an seine Mutter war ein Schmerz in seiner Brust, so stechend, dass er schließlich doch die Augen öffnete: Der Mond schien über einem Dach, und sein Licht glänzte auf einem seltsamen Ding über einem Dachgiebel. Das starre Ding sah aus wie Schädel, Schnabel und Flügel eines Vogels, nur war es sehr groß und sehr sperrig und hatte Fenster dort, wo ein Vogel Augen hatte. Es schien innen hohl zu sein.
    Daa’tan erschrak und kniff schnell die Lider wieder zusammen.
    Mutter, wo bist du? Mutter…
    Er spürte, wie sie ihn in das Haus hineintrugen. Viele Stimmen erfüllten einen Raum, es roch nach Urin und altem Schweiß. Sie legten ihn am Boden ab. Jemand schüttelte ihn, jemand trat ihn in die Rippen, jemand sprach ihn an. Der Junge stellte sich tot. Das Stimmengewirr legte sich.
    Daa’tan hörte schwere Schritte. Sie näherten sich schlurfend und verstummten erst ganz in seiner Nähe. Der üble Geruch war stärker jetzt, jemand atmete geräuschvoll, schmatzte, stieß ihn gegen die Schulter und sagte etwas, das wie Augen auf! klang. Daa’tan wunderte sich, weil er es verstehen konnte, und ohne es wirklich zu wollen, öffnete er die Lider.
    Fremde Augen, in denen Wut brannte, blitzten ihn an. Die Kriegerin in dem roten Fellmantel! Sie packte ihn, riss ihn hoch und schleifte ihn zu einem Fenster. Dabei fluchte sie zischend und belegte ihn mit wüsten Beschimpfungen. Daa’tan verstand nur einzelne hinaus gespuckte Worte: Taratzendreck und Mistbalg und Orguudoobrut . Am Fenster warf sie ihn auf den Boden. Sie hieß Cantalic; woher Daa’tan das wusste, konnte er sich selbst nicht erklären.
    Die Kriegerin im Rotpelz winkte erregt, und die hünenhafte Gestalt, deren Atmen und Schmatzen und schwere Schritte er gehört hatte, kam nun auch zum Fenster. Eine Frau. Zwei Krieger mit roten Zöpfen geleiteten sie. Sie bewegte sich schaukelnd und schwerfällig.
    War sie krank?
    Jedenfalls roch sie Ekel erregend. Eine wilde, drahtige Mähne stand von ihrem wuchtigen Kopf ab, ihre Glieder waren grobknochig und kräftig, wie Säulen kamen dem Jungen ihre Schenkel vor. Sie war noch größer als die rote Kriegerin. An einer Kette trug sie ein großes goldenes Kreuz um den Hals. Ein weißer, fast durchsichtiger Schleier bedeckte ihren massigen Körper. Irritiert erkannte Daa’tan den gewaltigen Busen darunter und den Säugling, den sie an ihre linke Brust drückte. Das säugende Baby also war es, das die schmatzenden Geräusche von sich gab. Daa’tan beneidete es, eine Empfindung, die ihn ebenfalls verwirrte.
    Die massige Frau stierte ihn an. Ihre Augen waren dunkel und feucht. Manchmal drehte sie die Augäpfel nach oben oder zur Seite, sodass ihre großen Pupillen verschwanden und Daa’tan dann nur noch das Weiße sehen konnte. Ihr Mund stand offen, ihre wulstige Unterlippe zitterte, Schleim troff aus ihrem Mundwinkel auf den Schleier herab.
    Sie ist krank… Daa’tan rutschte noch dichter an die Wand. Sie ist wahnsinnig, sie wird mich fressen, hilf, Wudan, hilf … Steif und kerzengerade drückte er den Rücken gegen die Wand und starrte das unheimliche Weib an. Fast hätte man meinen können, der Junge wollte sich in der Wand verkriechen.
    Die rote Kriegerin trat ihn in die Seite und bellte ein paar Fragen heraus. »Woher kommst du?«, »Wohin willst du?«, »Warum hast du die Malalas getötet?« Verächtlich und zornig blickte sie auf ihn herunter, als wäre er nur ein Stück Dreck, das im Weg lag. Und jetzt sah der Junge das Schwert, das sie sich samt Scheide in ihren breiten Hüftgurt unter dem roten Pelzmantel gesteckt hatte. Nuntimor! Sein Schwert!
    Wie eine heiße Lohe schoss ihm die Wut in den Kopf. »Das ist mein Schwert!« Immer wütender wurde Daa’tan – niemand fesselte ihn ungestraft! Niemand stahl ihm ungestraft sein Schwert. »Ich will es! Kapiert,

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