191 - London - Stadt der Vampire
zu. Sein Umhang öffnete sich, und sie fiel hinein, stieß gegen seinen harten, muskulösen Körper.
Mit eisernem Griff hielt Vacul sie fest. Es wäre ihr unmöglich gewesen, sich von ihm loszureißen. Ein grausamer Ausdruck zuckte um seine dünnen, blutleeren Lippen.
Sie hoben sich wie ein fahler Vorhang und entblößten Vaculs spitze Augenzähne. Flora zitterte. Sie hatte plötzlich Angst und dachte an Harry Raffertys entsetzlichen Schrei. Der Biß des Vampirs mußte grausam schmerzhaft gewesen sein.
Aber es gab kein Zurück mehr für sie.
Lange bevor sie hierher gekommen war, hatte sie selbst völlig freiwillig die Weichen dafür gestellt. Nun blieb ihr nichts anderes übrig, als dazu zu stehen.
Vacul schien das Mädchen als Geschenk zu betrachten.
Er nahm es an. Langsam beugte er sich zu Flora Nugents Hals hinab. Ihr wild hämmerndes Herz drohte zu zerspringen. Angstschweiß glänzte auf ihrer Stirn, und ihr Atem ging schnell wie nach einer großen Anstrengung.
Ein leiser, unglücklicher Schluchzer geisterte durch das dunkle Gewölbe, als die Spitzen der Vampirhauer die zarte Haut an Floras Hals leicht ritzten.
Das Mädchen zuckte zusammen, schloß die Augen und hielt still. In ihr Schicksal ergeben, wartete sie auf den großen, unvermeidlichen Schmerz.
Tränen rannen ihr über die Wangen.
Vacul preßte seine Lippen fest gegen ihren Hals, sie spürte seine kalte Zunge, aber keinen Schmerz - noch nicht. Aber er würde nicht ausbleiben.
Der Vampir fing an zu saugen.
Erst als sie den Blutsauger schlucken hörte, begriff sie, daß er sie bereits gebissen haben mußte. Sie hatte es nicht einmal gemerkt.
Vacul war viel gefühlvoller mit ihr umgegangen als Calumorg mit Harry Rafferty. In ihrem Kopf entstand ganz kurz eine Leere. Sie sackte zusammen, doch der Vampir hielt sie fest.
Er richtete sich auf, und sie öffnete die Augen.
Ihr Blut glänzte auf seinen Lippen. Er leckte es ab und grinste sie zufrieden an. Sein schwarzer Umhang öffnete sich und gab sie frei.
Sie wankte zu Crespo zurück.
»Er hat mich gebissen, Vince«, flüsterte sie. »Er hat mein Blut getrunken. Ich hatte solche Angst. Unbegründet.«
»Du bist auf dem richtigen Weg, Baby«, sagte Crespo. »Ich beneide dich. Hoffentlich kann ich dir bald folgen.«
Nun machte Morron Kull den Vampir mit seiner Idee vertraut. Vacul lieh ihm interessiert sein Ohr. Er war bisher ein Einzelgänger gewesen, doch mit dem Uralt-Vampir Calumorg würde er sich gern zusammenschließen. Er hatte vor langer Zeit von dem gehörnten Blutsauber gehört und selbst schon den Wunsch gehabt, mit ihm auf Blutjagd zu gehen.
Diesen Wunsch wollte ihm Morron Kull nun erfüllen.
Der Dämon wandte sich an Vincent Crespo. »Ihr bleibt hier. Tucker Peckinpah wird die Polizei veranlassen, euch zu suchen, aber sie wird euch in Vaculs Versteck nicht finden.«
Flora Nugent setzte sich mit glasigem Blick auf den Boden. Sie sah aus, als wäre sie high, nahm an dem, was um sie herum geschah, nicht mehr Anteil.
Tucker Peckinpah, Cruv und Morron Kull verließen das alte Gewölbe.
»Wenn wir zurückkommen, wird Calumorg bei uns sein«, hatte Morron Kull kurz davor noch zu Vacul gesagt. Es lag nun an ihm, dieses Versprechen einzulösen.
***
Wir trafen dort ein, wo die ›Wegbereiter‹ ihre Zusammenkünfte abgehalten hatten. Keiner von ihnen war da. Wir nahmen an, daß die Polizei die ganze Clique bereits kassiert hatte. Wieder einmal hatte Tucker Peckinpah wertvolle Arbeit geleistet. Im Polizeigewahrsam konnten die ›Wegbereiter‹ in ihrer gefährlichen Unvernunft nichts mehr tun, was anderen schadete.
Wir überkletterten die Friedhofsmauer.
Dunkelheit umfing uns. Der Wind rauschte durch die großen Kronen der alten Bäume. Windlichter flackerten vereinzelt in Grablaternen, und mir kroch eine unnatürliche Kälte über die Wirbelsäule.
»Wir müssen sehr vorsichtig sein«, sagte Mr. Silver leise. »Und wenn wir zuschlagen, müssen wir uns unserer Sache absolut sicher sein. Es darf keine Panne geben, denn wenn uns Calumorg entwischt… Ich behalte lieber für mich, was dann auf London zukommt.«
Wir beschlossen, uns zu trennen. Jeder sollte eine Hälfte des Gottesackers überwachen.
Ein kurzes Signal würde genügen, um den anderen zu alarmieren, falls dies nötig sein sollte.
Es war nicht sicher, daß Calumorg sich noch einmal hier blicken lassen würde. Wir konnten es nur hoffen. Der Ex-Dämon entfernte sich, um auf seiner Friedhofshälfte den bestmöglichen Posten
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