191 - London - Stadt der Vampire
zu beziehen.
Auch ich schaute mich nach einer Möglichkeit um, so viel wie möglich von meiner Hälfte überblicken zu können. Einen Teil des Randes mußte ich dabei auslassen. Er lag hinter einer breiten Buschwand, die die Rückfront einer Kapelle verdeckte.
An solchen geweihten Bauten hatten Vampire kein Interesse. Erfahrungsgemäß machten sie einen großen Bogen um sie, und betreten konnten sie sie schon gar nicht.
In der Kapelle wäre ich sicher vor Calumorg gewesen, aber darum ging es mir nicht. Ich war bereit, jedes Risiko auf mich zu nehmen, das Aussicht versprach, Calumorg zu vernichten.
Daß höchstwahrscheinlich Morron Kull in irgendeiner Weise mitmischte, gefiel mir ganz und gar nicht. Alle Dämonen sind unangenehme Gegner, aber bei Kull kam noch dieser krankhafte Ehrgeiz dazu.
Er glaubte, allen beweisen zu müssen, daß er besser war als sein Vater - uns und der Hölle. Um sich das gewünschte Ansehen zu verschaffen, war ihm jedes Mittel recht und kein Trick zu schmutzig.
Calumorg hätte mir vollauf genügt. Ich hatte absolut keine Lust, mich auch noch mit Morron Kull herumzuschlagen. Aber hatte ich darauf einen Einfluß? Ich mußte die Dinge nehmen, wie sie auf mich zukamen.
Vom Dach einer kleinen Gruft aus konnte ich im Moment sogar Mr. Silver sehen. Der Ex-Dämon verschwand aber kurz darauf aus meinem Blickfeld, und ich kam mir allein und verlassen vor.
Der Himmel über mir war fast schwarz. Es waren keine Sterne zu sehen. Auch der Mond ›glänzte‹ durch Abwesenheit. Eine Wolkendecke lag über der Stadt, und ich hoffte, daß es nicht anfing zu regnen.
Wieder einmal mußte ich mich in Geduld fassen. Nichts fiel mir schwerer. Der erbittertste Kampf - sofort, auf der Stelle - wäre mir lieber gewesen.
Zu warten auf etwas, das möglicherweise nicht eintraf, stellte mich auf eine harte Probe.
***
Ihr Beobachtungsposten war durch einen Baum gut getarnt. Sie hatten Tony Ballard und Mr. Silver gesehen, und Cruv fragte: »Sollten wir uns nicht auch trennen?«
»Cruv hat recht«, sagte Tucker Peckinpah. »Calumorg muß nicht unbedingt hier erscheinen. Er kann den Friedhof auch an einer anderen Stelle betreten. Wenn wir ihn nicht sehen, können wir ihn nicht warnen.«
Morron Kull schüttelte den Kopf. »Ihr bleibt hier. Tony Ballard und Mr. Silver dürfen euch nicht bemerken.«
»Was hast duvor?« wollte der Gnom wissen.
Der Dämon grinste hinterhältig. »Ich werde die beiden ein wenig verwirren. Bei Gefahr kehrt ihr zum Wagen zurück und fahrt los, ohne auf mich zu warten.«
»Und wo treffen wir uns wieder?« erkundigte sich der Industrielle.
»Bei Vacul«, sagte Morron Kull und tauchte ein in die tintige Dunkelheit.
***
Der Vorort hieß Primrose Hill. Dort trafen die von Vincent Crespo verständigten ›Wegbereiter‹ fast gleichzeitig ein. Ihr Anführer hatte ihnen den Weg zu der verfallenen römischen Befestigungsanlage so beschrieben, wie es ihm Morron Kull sagte. Nun orientierten sich die beiden Mädchen und die drei Jungen.
»Dort ist der verwilderte Park!« sagte Robert Rutherford, der sich gern als Crespos Stellvertreter sah, es aber nicht war und von den anderen als solcher auch nicht anerkannt wurde.
Aber diesmal hörten sie auf ihn und begaben sich in den kleinen Park. Dahinter ragten breite, verwitterte Steinmauern auf, die vor langer Zeit bestimmt doppelt so hoch gewesen waren.
Der Eingang - ein ovales schwarzes Loch - war hinter stacheligen Büschen verborgen. Man fand ihn nur durch Zufall, oder wenn man von ihm wußte.
Robert Rutherford übernahm die Führung. Vorsichtig tastete er sich die Stufen hinunter. »Bleibt dicht hinter mir!« verlangte er.
Er machte sich wieder einmal besonders wichtig, als ob nur er wüßte, wo es langging, dabei hatte er von Crespo nicht mehr erfahren als die anderen.
Sie erreichten das Ende der Treppe und stolperten über wackelige Steine. Rutherford machte mit seinem Gasfeuerzeug Licht, und kurz darauf stießen sie auf Vincent Crespo und Flora Nugent, die nach wie vor teilnahmslos auf dem Boden saß.
»Was ist mit Flora?« wollte Rutherford wissen.
»Sie ist uns allen einen Schritt voraus«, antwortete Crespo. »Vacul hat ihr Blut getrunken.«
»Ist er hier?« fragte Rutherford und blickte sich suchend um.
Crespo nickte.
»Ist er… unsichtbar?« fragte Rutherford gespannt.
»Nicht wirklich unsichtbar, aber so gut wie«, antwortete Crespo. »Die Schwärze der Finsternis nimmt ihn fast völlig auf. Dadurch kann man ihn nur sehr
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