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192 - Nah und doch so fern

192 - Nah und doch so fern

Titel: 192 - Nah und doch so fern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Seidel
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wenigstens eine Mahlzeit anbieten?«
    Es war ein ungeschriebenes Gesetz in der ausalischen Weite, niemanden hungrig fort zu schicken. Schließlich konnte man selbst einmal auf Hilfe angewiesen sein. Dass Yangingoo zögerte, auch noch ausgerechnet beim Lebensretter seines Sohnes, war unverständlich und beschämend. Die Mandori blickten betreten zu Boden. Punta und Taranay starrten ihren Vater vorwurfsvoll an. Yangingoo seufzte.
    »Warte, Grao Wongh-nga!«, rief er zögernd dem Fremden hinterher. Der blieb stehen und drehte sich um. Yangingoo watschelte auf ihn zu.
    »Du hast eine ungewöhnliche Waffe!«, sagte er und wies auf das Schwert.
    Der Fremde lächelte kühl. »Wäre es nicht angebrachter, mir zu danken statt meine Ausrüstung zu begutachten?«
    »Sicher, sicher! Es ist nur: Du hast mit dieser Waffe eine Bestie getötet! Keiner von uns brächte das fertig, nicht einmal mein Oberster Jäger, also bist du offenbar ein mächtiger Mann.« Yangingoo kratzte sich den Bauch. »Was könnte ich dir schon anbieten für Taranays Rettung? Wir züchten nur Kohl, und du bevorzugst sicher eine andere Kost. Besser. Vielfältiger.«
    »Oh, ich bin mittlerweile an eine Existenz weit unter meinem üblichen Standard gewöhnt«, erwiderte der Fremde, und Yangingoos Gesicht wurde lang. Grao Wongh-nga fuhr fort: »Fühle dich nicht verpflichtet, nur weil ich deinen Sohn gerettet habe. Aber ich bin auf der Durchreise und wäre dankbar, wenn du mir ein paar Tage Unterkunft gewähren würdest.«
    »Auf der Durchreise? Hier?« Yangingoo lachte ungläubig.
    »Wo willst du denn hin?«
    »Zum Uluru.«
    Das Lachen des Clanchefs erlosch. »Das ist Anangu-Gebiet!«, sagte er lauernd. »Wenn du jagen willst, könntest du in den Kata Tjuta bleiben.«
    »Die sind auch Anangu-Gebiet, und ich bin nicht auf der Jagd. Ich will zum Uluru, um mehr über die fremde Macht… den Ahnen herauszufinden, der im Felsen wohnt.« Grao verzog keine Miene. »Was beunruhigt dich, Yangingoo?«
    Fast gehetzt sah der Clanchef zu den Mandori hin. Er zögerte, räusperte sich. Dann fragte er: »Die Stimme des Ahnen. Kannst… kannst du sie hören, Grao Wongh-nga?«
    »Nein.« Grao schüttelte den Kopf.
    »Sie ist im Wind«, versuchte es Yangingoo noch einmal.
    »Hier im Wind des Wellowin. Ihretwegen sind wir hergezogen.«
    »Ich höre nichts. Nur die üblichen Geräusche, die ein Luftzug hervorruft. Ist Stimmenhören eine Voraussetzung, um bei euch aufgenommen zu werden?«
    »Aber nein, nein!« Yangingoo hob abwehrend die Hände.
    »Ganz und gar nicht! Es hätte mich im Gegenteil sehr gewundert, wenn du das könntest!« Der Clanchef lachte befreit, legte seinen Arm um Graos Schultern. »Du musst wissen, es ist eine besondere Gabe, wenn einer die Worte des Ahnen versteht. Man findet nur äußerst selten jemanden, der sie hat.«
    »Verstehe! Und ihr sucht nach einem solchen Jemand?«
    »Wir haben ihn schon gefunden.« Yangingoo, der Grao zu den Schildkrötentoren führte, blieb stehen. Er platzte schier, als er dem Retter seines Sohnes verriet: »Ich bin es! Ich bin der Auserwählte, zu dem der Ahne spricht! Ich allein! Nun folge mir, Grao Wongh-nga. Wir sollten erst mal was essen.«
    ***
    Ein Lager für die kleine Pause zwischendurch und etwas Nahrung, um den Magen des Wirtskörpers – der jetzt eine unauffällige Tarngestalt angenommen hatte – vom Knurren abzuhalten. Das hatte sich Grao’sil’aana gewünscht. Zu diesen wahrlich bescheidenen Ansprüchen kam jetzt allerdings noch ein dritter hinzu: Rettung vor dem Gestank! Letzte Nacht hatte Thgáans Schwanzstachel dem Owomba das Rückgrat aufgerissen. Dadurch war die ohnehin schon stinkende Bestie zu einer klaffenden, fauligen Riesenmorchel geworden, die unglaubliche Insektenschwärme anlockte. Schon in der Morgendämmerung überzog sie eine glänzende Chitinschicht, die sich bewegte, summte und damit beschäftigt war, Eier abzulegen.
    Taranay hatte Grao’sil’aana erklärt, dass Maden den Kadaver innerhalb der nächsten drei Tage blank fressen würden. Bis dahin aber konnte man sich ihm nur nähern, wenn man entweder eine Fliege, ein Vogel oder nasenlos war. Nichts davon traf auf den Daa’muren zu.
    (Leider), dachte er säuerlich, während er auf sein Essen starrte. Taranays Mutter hatte ihm etwas Besonderes zubereitet: gerollte Kohlblätter mit Eidechsehfüllung. Stöckchen hielten das schlaffe Grünzeug in Form. Sie knirschten erbärmlich, wenn man versehentlich darauf biss. Das wusste Grao’sil’aana

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