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192 - Nah und doch so fern

192 - Nah und doch so fern

Titel: 192 - Nah und doch so fern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Seidel
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auf.
    »Lass gut sein, Bruder!« Yangingoo streckte sich und gähnte. »Ruh dich aus, warte aufs Essen und… jek-ga! Was stinkt denn hier so entsetzlich?«
    Er setzte sich auf. Draußen zog eine frische Brise vorbei; man konnte hören, wie sie wispernd über die Schildkrötentore strich. Fäulnisgeruch drang in die Höhle.
    »Das ist der Owomba«, sagte Junnup. »Er liegt in Windrichtung, deshalb bekommen wir den Gestank mit. Dauert aber nicht lange. Zwei, drei Tage, dann ist es vorbei.«
    »Auch das hat uns der Fremde eingebrockt«, murrte Warnambi.
    Junnup zuckte die Schultern. »Na, und? Das nehme ich gern in Kauf, wenn ich dafür ab jetzt gefahrlos leben kann.«
    »Woher willst du wissen, dass du das kannst?«, rief Warnambi aufgebracht. »Wer sagt dir, dass der Fremde keine Gefahr ist?«
    »Unsinn!« Junnup tippte sich mit dem Stößel an die Schläfe.
    »Glaubst du ernsthaft, ein Auslieger käme ins Wellowin, um… was zu tun? Uns bestehlen? Haben wir denn etwas, das Grao Wongh-nga interessieren könnte?«
    »Ich weiß nicht, was er will«, sagte Warnambi. »Aber er ist nicht zufällig hier! Niemand kommt zufällig in unser Tal, dafür liegt es viel zu versteckt. Also?«
    »Also gar nichts!«, fauchte Yangingoo. »Grao Wongh-nga hat uns von einer Bestie befreit! Dafür solltest du dankbar sein, statt zu unken.«
    »Es ist die Art, wie er das getan hat…«
    »Ist es jetzt langsam gut?«, stöhnte Nimbutj-ja, der Oberste Jäger.
    »Nur mit einem Schwert! Wie ist er damit auf den Rücken des Owom…«
    »Warnambi!«, brüllten Junnup und Nimbutj-ja gleichzeitig.
    Yangingoo griff nach dem Hals des Schamanen. »Es reicht!«, zischte er. »Lass uns in Ruhe mit deinem ewigen Misstrauen!«
    Warnambi zog die Hand seines Bruders fort, stand auf und ging im tastenden Schritt der Blinden davon. Keiner hörte ihm noch zu, als er murmelte: »Ihr seid so seltsam, seit der Fremde da ist!«
    ***
    Unterdessen hatte Bienentänzer das Schildkrötentor erreicht und sich ins Freie geschwungen. Ein Schatten fiel vor ihm auf den Boden, und der alte Mann hob überrascht den Kopf.
    »Oh, Grao Wongh-nga! Wir haben gerade von dir gesprochen.«
    »Natürlich nur Erfreuliches«, meinte Grao’sil’aana trocken.
    »Ja, natürlich.« Bienentänzer lächelte den Daa’muren an.
    »Gäbe es was anderes zu besprechen?«
    »Ich wüsste nicht, was«, sagte Grao’sil’aana und staunte, wie leicht es ihm fiel, Daa’tans übliche Gedächtnisverleugnung zu kopieren, diese Ausflucht am Rande der Lüge. Er wies auf Bienentänzers Tasche. »Was hast du da?«
    »Das ist meine Ausrüstung für die Honigernte. Unten im Tal lebt ein Schwarm Barnanyin. Denen hab ich was beigebracht, damit wir Honig kriegen für unseren Wein. Aber es interessiert keinen.« Bienentänzer zögerte einen Moment, dann fragte er:
    »Möchtest du vielleicht mitkommen? Ich könnte dir zeigen, wie ich das mache mit der Ernte.«
    »Zeig es mir!« Dem Daa’muren war es egal, was der Primärrassen Vertreter mit seinen Bienen anstellte. Aber durch den Tod des Owomba war ein Problem aufgetaucht, das eine weitere mentale Beeinflussung erforderte. Grao’sil’aana musste den Mandori suggerieren, dass es nach wie vor lebensgefährlich war, nachts ins Freie zu gehen. Thgáan kam in der Dämmerung, und das durfte niemand wissen.
    Grao’sil’aana nickte ab und zu auf seiner Wanderung durchs Wellowin. Bienentänzer redete ununterbrochen, und zwar belangloses Zeug. Unter normalen Umständen hätte der Daa’mure ihn und anderen führenden Mandori gleichzeitig beeinflusst. Doch allein das Aufrechterhalten der Aura kostete immense Kraft, und mit der zusätzlichen Sorge um Daa’tan, Grao’sil’aanas persönlicher Krise und dem Versteckspiel im Kreis der Mandori stieß er allmählich an seine Grenzen.
    Deshalb nahm er sich die Männer einzeln vor.
    (Wie tief bin ich gesunken), dachte er, während er in Bienentänzers Hirn den Gedanken an ein herumstreifendes Owomba-Weibchen verankerte. (Warum schalte ich den Mann nicht aus? Ich habe die Macht dazu! Ich könnte ihm sogar befehlen, sich selbst zu töten. Er würde es tun! Und was mache ich stattdessen?)
    »… haben dann solche Puschel an den Beinen. Das ist Blütenstaub, den sammeln sie draußen in der Savanne. Da wachsen Steinblümchen, und die…«
    (Genau! Ich lasse mir was erzählen von Bienen und Blümchen!) Grao’sil’aana ballte die Fäuste. (Und warum, bei Sol’daa’muran, bezeichne ich ihn als Mann statt als

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