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192 - Nah und doch so fern

192 - Nah und doch so fern

Titel: 192 - Nah und doch so fern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Seidel
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beeinflussen lassen. Nur hatte das keine Auswirkungen gehabt. Bei Warnambi war sich der Daa’mure nicht so sicher.
    Grao seufzte. (Nicht nur, dass ich hier festsitze, während Daa’tan schläft – jetzt muss ich auch noch alle führenden Mandori unter Kontrolle halten und herausfinden, was es mit diesem Schamanen auf sich hat!)
    »Schmeckt es dir nicht? Du machst so ein komisches Gesicht«, fragte ihn Yangingoo mit begehrlichem Blick auf die Kohlschüssel. Grao’sil’aana gab sie ihm, dankte für das Essen und bat darum, sich eine Weile zurückziehen zu dürfen. Er stieß auf Verständnis, schließlich hielten ihn die Mandori für einen wilh-ma wakban. Auslieger verbrachten die meiste Zeit ihres Lebens in stiller Abgeschiedenheit. Da konnte ein dicht gedrängter, schwatzender Mandori-Clan sehr beklemmend wirken.
    Grao’sil’aana durchquerte die Versammlungshöhle und griff nach der Strickleiter, da rief Yangingoo hinter ihm her: »He, Grao! Sei bis zum Sonnenuntergang wieder hier!«
    Der Daa’mure wandte sich um, wollte schon darauf hinweisen, dass diese Sicherheitsvorkehrung mit dem Tod des Owomba hinfällig war. Doch er besann sich und sagte stattdessen: »Auf jeden Fall! Es muss ja noch geklärt werden, ob der Owomba ein Einzelgänger war!«
    ***
    Man sagt, Blinde hätten ein besseres Gehör als sehende Menschen. Doch das entspricht nicht den Tatsachen. Sie hören nur besser hin. Genauer. Analytisch.
    »Mit dem Fremden stimmt was nicht!«, sagte Warnambi, der Schamane.
    »Sicher, sicher«, meinte Yangingoo träge. Er lag auf dem Höhlenboden, Arme hinter dem Kopf, und verdaute sein Frühstück. Um ihn her beschäftigten sich die Frauen mit Aufräumen. Sie trugen Töpfe und Schüsseln zum Ausgang, balancierten mit ihnen die Strickleiter hoch – gespült wurde im Freien – und brachten das saubere Geschirr wieder herunter. Es eilte ein wenig, denn sobald die Sonne senkrecht über dem Schildkrötentor stand, war das nächste Essen fällig.
    »Denk doch mal nach, Yangingoo«, drängte Warnambi. »Er hat gesagt, sein Schwert wäre eine besondere Waffe.«
    »Ist es auch! Hast du den Griff gesehen? Wie ein Igoana mit Flügeln.« Yangingoo rülpste laut. »Das hätte ich gern.«
    »Ja, natürlich.« Der Schamane nickte. »Und mit dieser besonderen Waffe hat er den Rücken der Bestie aufgeschlitzt.«
    »Das Ding ist teuflisch scharf«, mischte sich der Oberste Jäger ein. »Beidseitig geschliffen! Geht durchs Fleisch wie durch Wasser!«
    »Eure Dummheit ist unglaublich!«, rief Warnambi ungeduldig. »Taranay hat mir erzählt, die Bestie sei größer als der Kukka’bu-Baum gewesen.« Schlangengleich beugte er sich vor. »Wie ist Grao Wongh-nga auf ihren Rücken gelangt?«
    Ein Mädchen kam vorbei. Sie schwang den Reisigbesen mit solchem Elan, dass der Schamane kurzfristig in einer Staubwolke saß. Als sie sich senkte, hatte er auf dem Lendenschurz einen gekochten Eidechsenschwanz kleben. Das bemerkte er nur nicht in seiner Blindheit.
    Nimbutj-ja, der ihm gegenüber saß und einen neuen Speer schärfte, stieß Yangingoo an und wies mit einem Kopfnicken auf das Malheur. Die beiden grinsten sich an, tauschten viel sagende Blicke.
    »Ich hatte nicht gescherzt!«, sagte Warnambi scharf, was die Männer zusammenfahren ließ wie ertappte Jungen. Nimbutj-ja senkte den Kopf und schnitzte eifrig weiter. Yangingoo starrte Warnambi verwundert an.
    »Wie machst du das nur?«, fragte er.
    »Aaah! Ich habe euch also belustigt! Darf ich auch fragen, womit?«, giftete Warnambi.
    Ein Stück hinter ihm war Bienentänzer gerade dabei, seine Gerätschaft zu packen. Er lachte in sich hinein. Auch Junnup der Heiler schmunzelte. Er war ein wortkarger alter Mann, der viel Zeit mit dem Anrühren geheimer Rezepturen verbrachte.
    »Allmählich müsstet ihr’s doch wissen!«, sagte er und wies mit seinem Knochenstößel auf den Schamanen. »Er macht euch was vor! Er behauptet einfach was, und – doborrk-ga! – ihr fallt drauf rein! Stimmt doch, Warnambi, oder?«
    Junnup legte einen Finger auf den Mund. Dann verzog er das Gesicht, als würde er weinen. Die Männer bemühten sich, still zu sein. Das eine oder andere Atemgeräusch war aber trotzdem zu hören. Prompt raunzte Warnambi den Heiler an:
    »Hör auf zu grinsen!«
    »J-ja.« Bienentänzer erhob sich und schulterte seine Sachen.
    »Ich geh dann mal.«
    »Das habe ich nicht verdient! Ich bin der Schamane! Wieso werde ich plötzlich so respektlos behandelt?«, brauste Warnami

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