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1935 - Der Gesang der Stille

Titel: 1935 - Der Gesang der Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannt
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das Zentrum erreicht hatten, und bis dahin gab es nichts weiter zu tun, als aufzupassen, wann ihr Zug Anstalten machte, abzubiegen, um rechtzeitig auf einen anderen umzusteigen. Also die ideale Zeit für eine Erholungspause.
    Skill tat es ihm gleich. Eine Weile saßen sie so da und kauten schweigend, dann meinte der junge Kybernetiker: „Darf ich dich noch etwas Persönliches fragen?"
    „Nur zu", nickte Bull kauend. „Wie ist das eigentlich, unsterblich zu sein?"
    Bull hörte auf zu kauen, sah überrascht hoch und schluckte erst einmal umständlich. „Ah", machte er dann. „Ich muß sagen, du hast ein Talent, unerwartete Fragen zu stellen...Puh! Lange her, daß mich das einer gefragt hat."
    „Und?"
    „Normalerweise sage ich, es ist eine Gnade", entgegnete Bull. „Ein unverdientes Geschenk und gleichzeitig eine unverschuldete Verpflichtung."
    Skill sagte nichts, aber in seinen dunklen Augen war deutlich zu lesen, daß er sich mehr erhofft hatte. „Na ja", meinte Bull mit einer ausholenden Geste, „wir haben ja ein bißchen Zeit. Was willst du wissen?
    Wie es ist, seinen
     
    2939.
     
    Geburtstag zu feiern? Antwort: Ich feiere keine Geburtstage mehr."
    „Nicht?"
    „Mein letzter Geburtstag war vor fünf Wochen. Da waren wir gerade im Ring von Zophengorn und hatten andere Sorgen. Und so ist es immer." Bull hob die Schultern. „Abgesehen davon war es eigentlich erst mein...na, vermutlich mein
     
    2244.
     
    Geburtstag. Du weißt wahrscheinlich, daß wir einmal 695 Jahre in einem Stasisfeld eingeschlossen waren?"
    Skill nickte. „Während der Dunklen Jahrhunderte."
    „Ja. Diese Zeit kann man schließlich nicht zählen. Genaugenommen habe ich schon früher einmal einige Jahre verloren." Er lächelte. „Das war beim ersten Besuch auf Wanderer, damals, im 20. Jahrhundert...Da verlor ich etwa vier Jahre."
    Skill Morgenstern blickte interessiert. Aber wahrscheinlich wußte er diese Details der frühen terranischen Geschichte nicht einmal. „Also, im Grunde weiß ich nicht mehr genau, wie ich mein Alter eigentlich ausrechnen müßte, wenn es mich interessieren würde." Bull sah umher, blickte die Stahlstreben und Hallenwände hoch, ohne sie zu sehen, weil in ihm Erinnerungen hochsprudelten. „Was soll ich erzählen? Wie es ist, Freunde neben sich alt werden zu sehen, während man selbst immer jung bleibt? Wie man erschrickt, wenn man sich an eine Begebenheit erinnert und plötzlich merkt, daß es zweitausend Jahre her ist? Wie man sich vorkommt, wenn man ein Museum für alte Geschichte einweiht und beim ersten Durchgang Fotos von sich selbst in den Vitrinen entdeckt? Was man sich denkt, wenn dieselbe Modetorheit zum fünfhundertsten Mal wiederkehrt und wieder einmal als das absolut Neueste angepriesen wird? Wie man sich fühlt, wenn ein junger Mann glaubt, man habe den Bau der Pyramiden von Gizeh miterlebt?"
    „Das klingt, als ob es eine Last wäre."
    „Es ist beides. Es ist natürlich großartig, nicht zu altern, immer gesund zu sein, immer im Vollbesitz seiner Kräfte.
    Ich hänge am Leben, das gebe ich gern zu. Aber es kann auch eine Last sein, ja."
    Skill sah hinab auf die schimmernden Schienen. „Ich wäre gern immer gesund."
    „Ja", meinte Bull verhalten. „Das glaube ich."
     
    *
     
    Skill hob den Kopf, sah den Herzdom in der Ferne schimmern, und für einen Augenblick kam ihm ihre Situation zu Bewußtsein: Da hockten sie, in Deflektorfelder gehüllt, auf dem Dach eines Waggons, der mitten durch einen feindlichen Stützpunkt rumpelte, und unterhielten sich, als säßen sie bei einem Vurguzz zusammen. Was für ein skurriler Moment! Um nichts in der Welt hätte er das missen wollen. „Und wie ist das nun", hörte er sich weiterfragen, und er hatte Lust, dem Zellaktivatorträger noch eine Million solcher Fragen zu stellen, „immer jung zu bleiben?"
    Er sah Bull an. Er hatte dieses Gesicht in uralten Filmen aus der Gründerzeit des Solaren Imperiums gesehen, und da hatte es schon genauso ausgesehen. In ganz Terrania City gab es fast kein Bauwerk mehr, das aus dieser Zeit überdauert hatte, doch dieser Mann war unverändert geblieben. „Man gewöhnt sich daran", bekannte Bull. „Ich erinnere mich an den Tag, an dem ich achtzig Jahre alt wurde. Mein Vater war mit achtzig Jahren gestorben; damals war das ein hohes Alter. Und ich schaute in den Spiegel und sah immer noch aus wie mit achtunddreißig. Damals konnte ich das kaum fassen. Aber es wird rasch selbstverständlich.
    Fast erschreckend

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