1935 - Der Gesang der Stille
fünfhundert Jahre. Was verriet ihnen das? Was konnte ihnen die Vermutung helfen, daß diese Station vor 540 Jahren errichtet worden war?
Vielleicht mehr, als man im ersten Moment glauben mochte. Nach allem, was sie bisher wußten, waren die Korrago gewissermaßen die Leibgarde ihres großen Gegenspielers, über den sie bisher praktisch nichts wußten.
Nichts außer einem Namen: Shabazza.
In diesem Moment wurden draußen auf dem Gang Geräusche hörbar, die ihnen das Blut in den Adern gefrieren ließen und alle derartigen Überlegungen zu einem abrupten Stillstand brachten. Schritte.
*
Skill Morgenstern verfolgte erschrocken, wie Reginald Bull sich scheinbar ohne die geringste Schrecksekunde in Bewegung setzte, mit ein paar weiten, fast lautlosen Sätzen bei der Tür war und sie dann rasch, aber behutsam nach innen aufzog, um durch den entstehenden Schlitz hinausspähen zu können. „Es ist ein Korrago!" hauchte er kaum hörbar. „Nur einer?" hörte sich Skill fragen und sah hinab auf seine Hände, die immer noch das Kabel und den Adapter und den Kommunikator hielten und sich anfühlten wie gelähmt. „Ja", nickte Bull. „Nur einer. Schnell!" Schnell. Verdammt, er konnte nicht so schnell umschalten! Gerade eben war er noch völlig in die Entschlüsselung des Zeitsignals vertieft gewesen, war einem weiteren Schritt im Verständnis der fremden Technik so nahe gekommen wie schon lange nicht mehr, und jetzt sollte es auf einmal schnell gehen. Er zerrte an dem Adapter, brachte ihn schließlich aus dem Kabel heraus, aber dazu, es zurück in den Schacht zu stopfen und den Deckel zu schließen, reichte es nicht mehr.
Mit einem dumpfen Knacken öffnete sich die Tür, und der Korrago kam herein. Skill wich zurück, den Kommunikator an den Körper gepreßt, um ihn im Deflektorfeld zu halten, und starrte das fremde Wesen an.
Den ersten lebenden Korrago, den er sah.
Lebend? Ein Korrago war ein Android, ein künstlich geschaffenes Wesen. Aber etwas in ihm sträubte sich dagegen, die Gestalt, die sich auf die geöffnete Wandverkleidung und das heraushängende Kabel zubewegte, einfach nur funktionsfähig zu nennen.
Der Korrago war schwarzhäutig und scheinbar unbekleidet, und das, was man bei einem biologischen Lebewesen als Haut bezeichnet hätte, schimmerte an ihm wie dickes, dunkles Plastik. Er war weit übermannsgroß, zwei Köpfe größer als Skill.
Anders als die KorragoLeiche, die Skill zu sehen bekommen hatte, ging dieser zwar auf zwei stämmigen Beinen, besaß aber insgesamt vier Arme. Zwei Arme begannen an den Schultern wie bei allen humanoiden Wesen und schienen geeignet, schwere Lasten zu schleppen und anstrengende Arbeiten zu verrichten. Außerdem gab es aber noch ein zweites, weitaus filigraneres Paar Arme, die dem Korrago gewissermaßen aus der Seite des Halses wuchsen, kaum länger waren als sein Kopf und vermutlich dazu gedacht waren, feine Arbeiten zu verrichten.
Auffälligstes Merkmal jedes Korrago, zumindest in menschlichen Augen, waren die beiden Sehschlitze, die an der Vorderseite des Kopfes schießschartenartig von oben nach unten verliefen und hinter denen unverkennbar künstliche Optiken schimmerten. Diese Sehorgane waren unverwandt auf das Loch in der Wand gerichtet und auf das Kabel, das heraushing.
Skill spürte, wie Reginald Bull ihm sanft die Hand auf die Schulter legte. Er wandte den Kopf. Bull bedeutete ihm, daß sie sich weiter von dem Korrago entfernen sollten.
Deflektorgeräte waren natürlich grundsätzlich auch zu orten, zeichneten sich aber dadurch aus, ein energieärmeres und unauffälligeres Ortungsmuster hervorzurufen als beispielsweise Antigravitatoren oder Impulstriebwerke.
In der weiteren Umgebung technischer Anlagen konnte man davon ausgehen, von deren energetischem Hintergrund überstrahlt zu werden.
Die größte Gefahr, entdeckt zu werden, bestand naturgemäß in unmittelbarer Nähe, denn die Unsichtbarkeit, die ein Deflektor seinem Träger verlieh, umfaßte in der Regel nur das Spektrum des sichtbaren Lichts. Man konnte ihn aber zum Beispiel aufspüren, wenn man Infrarotdetektoren einsetzte, außer vielleicht, man hatte es mit einem besonders hochwertigen und entsprechend teuren integrierten Deflektor zu tun, wie er etwa in einem SERUN-Kampfanzug eingebaut war.
Am verräterischsten aber war etwas, wogegen auch ein SERUNTräger nicht gefeit war: Geräusche.
Wenn es still genug war und jemand Ohren hatte, die fein genug waren, dann konnte er einen
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