1938 - Die Farben des Bösen
sich absichtlich rar und gab lieber einen effektvollen Auftritt; um so mehr umgab ihn dadurch die Aura eines „großen Mannes".
Das hatte er von den Unsterblichen gelernt, die nach wie vor Legenden waren - deren Popularität seit dem Auftritt des Helioten sogar wieder sprunghaft gestiegen war. Solder Brant hatte die Archive durchforstet und daraus seine Strategie entwickelt. Mit wenigen Worten versicherte er sich stets aufs neue der glühenden Loyalität selbst jedes einzelnen Mitarbeiters. Diese wenigen Minuten gaben sie begeistert an ihre Familie, ihre Freunde, ihre Bekanntschaften weiter und machten so kostenlos Werbung für ihn, verhalfen ihm zu Wählerstimmen. Solder Brant kannte die Regeln der Macht genau und verstand es, sie für seine Zwecke zu benutzen.
2.
Graue Flecken auf weißen Hemden
Linda Kordes’ Blick fiel erschrockenauf das Chrono, als sich das Büro füllte. Eine Menge Arbeit hatte sie heute früh erwartet, und sie war völlig vertieft gewesen, ohne auf die Zeit zu achten.
Georg Zima war noch nicht da! Ein Ding der Unmöglichkeit; er kam niemals nach neun Uhr.
„Hat Georg gestern abend eine Nachricht hinterlassen, daß er später kommt?" fragte Linda in die Runde hinein.
Die Geschäftigkeit ruhte für einen Moment, Stille trat ein. Jeder sah den anderen fragend an.
„Ist er denn nicht in seinem Büro?" wollte jemand intelligent wissen.
Wahrscheinlich ein Ausdruck der Hilflosigkeit. Linda überhörte deshalb diese Bemerkung geflissentlich.
Linda war morgens die erste von allen, aber abends nicht die letzte. Sie hatte Georg von Anfang an deutlich gemacht, daß sie nicht länger als bis 18 Uhr Ortszeit bleiben würde, weil sie jeden Tag ihr Körpertraining absolvierte und sich einer gesunden Ernährung widmete, die sie sich selbst zubereitete und die daher eine Menge Zeit in Anspruch nahm. Sie wollte auch in hundert Jahren noch frisch aussehen und vor allem so gut und viel arbeiten können.
Da Georg genau wußte, wie er im Spiegel aussah, und sich Linda niemals so hätte vorstellen wollen, hatte er diese Bedingung vorbehaltlos akzeptiert. Noch dazu, da Linda trotzdem noch Arbeit mit nach Hause nahm.
„Ich glaube, ich war der letzte", sagte Egbert Homme-Eppee, ein Marketing-Spezialist. „Nur Georg war natürlich noch da. Er hat aber nichts zu mir gesagt."
„Wie hat er gewirkt? Cholerisch?"
„Nein, er war völlig vertieft in irgend etwas. Er hat nicht einmal meinen Abschiedsgruß gehört."
Linda runzelte die Stirn und fuhr sich durch die langen, glatten schwarzen Haare. „Hoffentlich- ist ihm nichts zugestoßen", murmelte sie besorgt.
Sie ging in ihr Büro und versuchte, eine Verbindung zu Zima herzustellen. Der Haussyntron konnte jedoch lediglich seine Abwesenheit mitteilen; eine Weiterleitung der Anrufe zum Kornarmband war nicht programmiert.
„Soll ich eine Nachricht aufzeichnen?" fragte die Maschine.
„Nein." Linda schaltete ab und grübelte, wo sie nach Georg suchen könnte. Vielleicht war er bei Solder Brant? Aber warum hatte er keine Nachricht über seine Termine hinterlassen?
In diesem Moment öffnete sich die Tür, und sie stieß erleichtert den Atem aus. „Endlich!" rief sie.
Georg Zima war eingetroffen, mit hektischen roten Flecken auf dem Gesicht, und er schwitzte bereits.
Wahrscheinlich war er zu schnell gelaufen, denn sein Atem ging stoßweise.
Linda setzte zu einer spöttischen Bemerkung an, aber Zima kam ihr zuvor: „Bitte stell sofort eine Verbindung zu Solder Brant her, er muß umgehend in mein Büro kommen! Sollte er einen Termin haben, wird der abgesagt. Ich muß auf der Stelle mit ihm sprechen."
Und draußen war er wieder. Linda sah ihm verdutzt hinterher. Georg hatte so ernst und gestreßt gewirkt, daß sie ihm nicht nachrief, sich gefälligst selbst um diesen Anruf zu kümmern.
Gehorsam stellte sie die Verbindung her. Solder Brant war noch zu Hause, und Linda’ machte deutlich, daß Georg nicht in der Verfassung schien, einen Aufschub des Treffens zu dulden.
„Worum geht es denn, um Himmels willen?" fragte Solder beunruhigt.
„Ich habe keine Ahnung. Aber es muß wirklich wichtig sein, daß Georg sogar zu spät ins Büro kommt."
„Ich bin in einer halben Stunde da", versprach der Kandidat.
Linda ging in Georgs Büro. „Er kommt gleich."
Ihr entging dabei nicht, daß er hastig einige Holos löschte und Folien, die er gerade in der Hand gehalten hatte, unter einen Stapel schob.
„Gut, gut."
Linda blieb stehen. Georg sah
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