194 - Der schlafende Teufel
beide Ohren in Schulden.«
Das Taxi stand. Tanner drehte sich um und starrte den Fahrgast eiskalt an. »Was weißt du schon über Leute wie mich?« knurrte er verächtlich.
Dem vornehmen Mann blieb die Luft weg. »Wie reden Sie denn mit mir?« blaffte er. »Was erlauben Sie sich?«
»Raus!«
»Ich werde mich über Sie beschweren! Wie ist Ihr Name?«
»Tanner. George Tanner.« Er nannte dem Fahrgast auch die Taxinummer. Er spürte, daß sich einiges verändert hatte, daß er nichts mehr zu befürchten hatte, von niemandem.
»Sie sind Ihren Job los, Mann!« polterte der Distinguierte. »Dafür sorge ich!«
»Ja, ja, schon gut, und jetzt hau endlich ab, sonst drehe ich dir deinen stinkfeinen Hals um!«
»Das ist die Höhe! Sie müssen betrunken sein!« Der Fahrgast wollte korrekterweise bezahlen, was der Taxometer anzeigte.
Doch Tanner winkte ab. »Du warst eingeladen, Alter. Und nun Abmarsch!«
Der Mann stieg mit hochrotem Gesicht aus. Tanner grinste in den Spiegel und fuhr weiter. Er fühlte sich zum erstenmal im Leben großartig - und frei. Losgelöst von allen irdischen Zwängen.
All die Jahre hatte er - als Mensch - in Ketten gelegen. Damit war es nun vorbei. Er hatte diese Ketten gesprengt, sie behinderten ihn nicht mehr.
Sein Gesicht verzerrte sich zu einer gemeinen, boshaften Fratze. Er lachte rauh, und Grausamkeit funkelte in seinen Augen.
Frei!
Ganz frei würde er erst sein, wenn er sich von Vivian getrennt hatte, aber er dachte dabei nicht an Scheidung!
***
Jubilee Goddard hatte trotz ihrer Jugend eine ganz und gar ungewöhnlich abenteuerliche Vergangenheit: Im zarten Kindesalter von vier Jahren war sie von einem Dämon namens Cantacca auf die Prä-Welt Coor entführt worden, wo sie heran wuchs. Als sie 17 Jahre alt gewesen war, hatte Cantacca sie zu seiner Gefährtin machen wollen, doch das Mädchen war geflohen und hatte das große Glück gehabt, Tony Ballard und seinen Freunden in die Arme zu laufen, die sie mit auf die Erde nahmen, wo es Tony nach Überwindung vieler Hindernisse gelang, die Familie Goddard wieder zu vereinen.
Seitdem sah Jubilee in Tony Ballard so etwas wie einen brüderlichen Freund. Vielleicht auch mehr, denn eine Zeitlang hatten er und seine Freundin Vicky Bonney ihre Eltern vertreten.
Obwohl Jubilee sich inzwischen zu einer attraktiven jungen Dame gemausert hatte, hatte sie ihren Spitznamen beibehalten: »Prä-Welt-Floh«. So wurde sie von Tony und seinen Freunden immer noch liebevoll genannt.
Ihre Beziehung zum Ballard-Team war sehr innig, deshalb wollte sie Tony und die anderen auch an ihrem Leben Anteil nehmen lassen, und zu ihrem Leben gehörte neuerdings ein junger Mann, in den sie sich verliebt hatte.
Da ihr die Sache ernst war und es sich um keine unbedeutende Liebelei und auch um keine jugendliche Schwärmerei handelte, wollte sie, daß die Ballard-Crew ihren Freund kennenlernte.
Einige Male hatte sie den Besuch in Tony Ballards Haus verschieben müssen, weil die Dämonenjagd selbstverständlich Vorrang haben mußte, doch heute würde es klappen.
Heute war der Tag, an dem das Ballard-Team Kenny Bates kennenleinen würde.
Jubilee traf sich mit Kenny in einer Pizzeria. Ihr knallgelbes Boutiquekleid war mini. Bei ihren schönen schlanken Beinen konnte sie sich das leisten. Nachdem sie versucht hatte, ihr brünettes Haar wachsen zu lassen, trug sie es jetzt wieder streichholzlang, weil sie sich zu der Erkenntnis durchgerungen hatte, daß ihr diese Frisur am besten paßte.
Auch ihr 20jähriger Freund sah großartig aus. Er trug einen sportlichen Glencheck-Anzug, ein weißes Hemd und keine Krawatte.
Für gewöhnlich war er mit einem beachtlichen Appetit gesegnet, doch heute schaffte er die Pizza nicht. Jubilee streichelte zärtlich über sein dichtes sandfarbenes Haar. »Aufgeregt?«
»Ist ein blödes Gefühl, wie auf einer Viehauktion vorgeführt zu werden«, sagte Kenny Bates. »Alle starren dich an, sezieren dich mit ihren Blicken, würden am liebsten deine Muskeln drücken und sich dein Gebiß ansehen, um zu erfahren, wie kräftig und gesund du bist.«
»Vorgeführt«, sagte Jubilee rügend. »Du kommst zu wirklich guten Freunden. Sie werden dich sofort in ihr Herz schließen, weil mein Freund auch ihr Freund ist.«
»In was für ein Herz denn?« brummte Kenny. »Haben sie denn eines? Ich meine Roxane und Mr. Silver?«
»Natürlich haben sie ein Herz,«
»Ich bezweifle es.«
Jubilee lachte. »Jetzt spricht wieder mal der nüchterne Programmierer
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