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1948 - Roman

1948 - Roman

Titel: 1948 - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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waren nicht dabei. Sie schliefen wohl in der Pension im Haus Pfeffermann am Weg zum Kibbuz Maale Hachamischa oder hörten sich die Schallplatten an, die wir vor ein paar Tagen vorbeigebracht hatten.
    Im Hintergrund ragte Jerusalem aus dem Nebel, der die ganze Bergkuppe umhüllte. In dem großen Haus, an dem wir lagerten, sahen wir einen alten Araber im Schneidersitz auf einer zerrissenen Wolldecke sitzen und mit seiner Abaya einen fliegenumschwirrten Leichnam abdecken. In seinen Augen blitzte ein kleines Lächeln, eine Art schmerzliche und provozierende Geringschätzung. Vielleicht fühlte er sich auch einfach verraten von seinen prächtig gekleideten Anführern, die sich als große Helden aufspielten, aber längst geflohen waren, um ihr Leben zu retten. Er war wohl ein einzelner Mann, der den Krieg durch abschätziges Lächeln gewinnen wollte. N. schrie: Man muss alle in diesem Dorf umbringen, sogar die Katzen hier sind Araber. Das Lächeln des Arabers verstörte ihn sichtlich. Ansonsten sahen wir nicht viel außer dem Leichnam am Boden, den eine Kugel niedergestreckt hatte.
    N. ging wieder zu dem Erhängten, verjagte die Krähen, die sich krächzend um den Baum zu scharen begannen, und betrachtete lange den jungen Mann, der sein guter Freund gewesen war und nun an einem Ast hing, den Penis im Mund. Er zog ihm die Schuhe aus, probierte sie an, und der Araber, der im Schneidersitz gesessen hatte, sprang auf und rannte davon. N. packte die Schuhe und schleuderte sie nach den Krähen, die dick und satt von einem Gefecht anflatterten, das irgendwo in der Nähetobte und mit seinen Rauchschwaden ahnen ließ, dass auch dort gestorben wurde. Der Geruch des fernen Kampfes mischte sich mit dem Geruch des Todes bei uns, und wir schossen in Richtung des flüchtenden Arabers, ohne ihn jedoch zu treffen. Ich hatte keine Sten, sondern eine amerikanische Thompson, »ausgeliehen« von einem jordanischen Soldaten, der durch mein Zutun gestorben war: Wir hatten ein Haus mit fünf Säckchen TNT präpariert, und als wir den Zünder betätigten, stürzte es in einer eleganten Pirouette in sich zusammen, der Mann kam um, und dort fand ich die Waffe. Ich nahm sie und erkundigte mich, welche Patronen man dafür brauchte, erfuhr, dass wir solche hatten, und so behielt ich die Thompson und gab die Sten jemand anders.
    Ich kam in den Hof zurück und sah N. durchs Fenster ins Haus einsteigen. Dann plötzlich erblickte ich einen anderen dort, der selbstversunken wirkte. N. platzte schier vor Feindschaft, vor furchtbarem, fast göttlichem Hass. Man erkannte ihn kaum noch durch die Hülle der Erbitterung, die sein Gesicht überzog, langsam über ihn kroch, sogar Hände und Füße bedeckte. Eine Krähe flog auf unseren Baum zu, und einer der Kumpels, die unter dem Feigenbaum lagerten, knallte sie ab.
    Ich stand vor dem Haus, am Fenster, einige Kameraden gesellten sich zu mir, und wir sahen unweit, in einer schattigen Ecke, die Leiche liegen, die der Araber vor seiner Flucht zugedeckt hatte. Jetzt kam eine Frau aus einem Versteck angerannt, in einem prächtig bestickten Beduinenkleid, wohl um die vierzig, vielleicht jünger. Sie war mit schwarzem Blut bedeckt, so schwarz, wie Blut im Leben tatsächlich sein kann, und kniete nieder, wie Araberinnen niederknien können, wie die Tänzerinnen bei Gertrud Kraus. Sie weinte abgehackt, wimmerte stammelnd.N. erstarrte wie vom Donner gerührt, den Mund verkniffen, die Augen fast geschlossen. Ich erschrak bei seinem Anblick. Er setzte seine Sten ab, hob die Augen, sah uns am Fenster stehen und grinste böse. Mich fixierte er hasserfüllt.
    N. mochte mich seit Jugendtagen, dachte aber gewiss, ich hätte meine beschissene Gerechtigkeit mitgebracht, meinen Vater mit seinem Beethoven, den Haschomer Hazair mit seinem binationalen Staat. Und die kniende Araberin hasste er unheimlich stumm, denn auf Araber, sagte er, sei ja kein Verlass, nicht mal auf tote Araber. Jemand rief, selbst tote Araber kehrten hinterher zurück, mit Mordgier in den Augen. N. schrie, und die Frau weinte bitterlich. Dann betrat eine verwelkte Alte den großen Raum, die sonnengegerbte Haut von bläulichen Streifen durchzogen. In ihrem Blick lag Erstaunen. Ihre Augen ruhten tief in den Höhlen. Sie stieß schrille Laute aus und wirkte wie das Standbild einer arglos dreinblickenden, arabischen Greisin.
    Ich ging hinein. Der steinerne Backofen kokelte, es roch nach Rauch, Asche und versengtem Brot. N. prügelte mit Macht auf die alte Frau ein

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