1948 - Roman
endlich auf, sagten sie, aber ich konnte nicht. Sie wurden wütend auf mich,was hast du denn, du Muttersöhnchen, genug mit deinem Beethoven. Das ist Bach, sagte ich, und sie sagten, Beethoven, Bach, derselbe Scheiß, und ich sah, dass sie mir Böses wollten. Ich packte meine Waffe, die Thompson, zielte auf die Kumpels und schrie: Wenn mir jemand nahe kommt, drücke ich ab, und ihr wisst ja schon, dass ich ein Kind erschossen habe, da kann ich euch erst recht abknallen. Mit der einen Hand drehte ich die Kurbel, in der anderen hielt ich die Thompson, und so spielte ich die Platte ein paarmal weiter, bis sie mich übertölpelten. Sie packten mich unversehens von hinten, rangen mich zu Boden, schnappten die Platte und schleuderten sie auf die Felsen. Die arme alte, wunderbare Schallplatte aus Berlin zerbrach in viele Teile. Ich stand auf und ging, wohin, weiß ich nicht mehr.
Am selben Abend wurde ein Einsatz abgesagt, und wir alle, die ganze Einheit, sollten in den Keller des Kuhstalls kommen. Dort konnte man manchmal eine Grußsendung im batteriebetriebenen Radio hören. Wir saßen alle still. Dado, der beliebteste Offizier, befahl uns zu schweigen. Das Radio sendete Grußbotschaften, alle lauschten gespannt, und dann sagte der Sprecher: Für Yoram Kaniuk, irgendwo im Land, zur Vollendung des achtzehnten Lebensjahrs möchten deine Eltern dir alles Gute wünschen und dir deine Lieblingsplatte aus der Kindheit vorspielen. Und dann saßen alle mucksmäuschenstill, bleich und missmutig da und mussten sich meine kleine Fuge noch einmal anhören.
Das war vielleicht das Schönste, was mir je an einem Geburtstag passiert ist, bis zum heutigen Tag. Es war eine süße Rache. Eine Umarmung von Eltern und Schwester. Das war mein großartigstes Erlebnis in dem Krieg, den wir führten, um den Staat für Benny Marshak zu gründen.
15
Das Gefecht um Nebi Samuel war eines der brutalsten und auch dümmsten des ganzen Unabhängigkeitskriegs. Beim Sturm auf den Berg, der die Straße nach Jerusalem überblickt, war ich nicht dabei. Wir wurden in vier Panzerwagen mit der Davidka, die manchmal sogar schoss, zu einem rückwärtigen Ablenkungsmanöver geschickt. Wir fuhren nach Bet Iksa, nahe der britischen Radarstation, um eine Operation durchzuführen, von der wir nicht recht wussten, wie sie verlaufen sollte. Alles, was ich jetzt schreibe, ist mir ziemlich unklar. Ich hatte das Gefecht vergessen. Über dreißig Jahre war es in meinem Gedächtnis erloschen.
Dreißig Jahre später fuhr ich eines Tages mit dem armseligen Simca 1000, den ich damals hatte, an den Strand von Sidna Ali, bei Herzlija. Ich blickte von der Felsküste aufs Wasser, es war so schön und ruhig, und drunten sah ich junge Leute nackt schwimmen und schallend lachen, und eine Frau, die einem Delfin glich, redete lauthals in einer fremden Sprache, vielleicht war sie eine Volontärin aus Finnland – und da tauchte aus dem Wasser, wie neu, die Erinnerung auf, die in mir verschüttet gewesen war, sich bis dahin geweigert hatte, ans Tageslicht zu kommen. Ich sah sie wie einen Film vor mir ablaufen, fuhr nach Hause und schrieb nieder, was mein Gedächtnis hergab. Aber es muss nicht unbedingt so gewesen sein, wie ich es aufgeschrieben habe.
Ich erinnerte mich, dass unser Anführer den Einsatzbefehl für sich behalten hatte. Ich saß in dem Panzerwagen mit der Davidka, die beim Abschießen mehr Krach machte, als sie Zerstörung anrichtete, aber wir hatten nichts Besseres. Auf dem Weg gerieten wir in einen Hinterhalt. Minen brachten drei Panzerwagen zum Umstürzen. Wir stiegen aus und nahmen die Davidka und ihre riesigen Granaten mit. Der vierte Panzerwagen war unversehrt. Gabrusch, der Fahrer des Kommandanten dieses Wagens und der Meisterfahrer der ganzen Harel-Brigade, konnte das Fahrzeug wenden. Wir wurden beschossen, es gab schon Verwundete. Der Kommandant des Wagens sagte, er werde nach Kibbuz Maale Hachamischa zurückfahren, um Unterstützung zu holen. Wir sagten ihm, von dort könne keiner kommen, weil alle an dem großen Angriff mit Posa teilnähmen, von dem wir nicht wussten, dass er schon umgekommen war, und wir flehten ihn an, nicht wegzufahren oder – falls er uns doch allein lassen wolle – wenigstens zu sagen, was wir machen sollten, und einige der Verwundeten mitzunehmen. Er sah ärgerlich und nervös aus und sagte, er werde schnell Verstärkung beibringen, werde ganz bestimmt Leute finden, er könne die Sache jetzt nicht stoppen und werde bald mit Soldaten
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