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1948 - Roman

1948 - Roman

Titel: 1948 - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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zurückkommen. Auf diese Unterstützung warte ich bis heute.
    Wir blieben unter heftigem Beschuss auf offenem Gelände, ohne zu wissen, was wir tun sollten. Haben wir wirklich unsere Hemden ausgezogen, um die Verwundeten zu verbinden? Sind uns wirklich die Hemden ausgegangen? Flogen wirklich Raben am Himmel, die wie Gottes Narren tanzten, kleine Schufte, die aussahen wie Spielzeug-Chassidim oder zum Judentum bekehrte Pinguine, ohne den Glanz des Adlers oder Geiers, der wirklich eintraf, hocham Himmel schwebte und uns Noch-nicht-Tote verhöhnte. Die Lebenden interessierten ihn nicht, er stürzte sich auf Leichen, nicht auf Verwundete.
    Die Raben veranstalteten ein Theater, vielleicht um den Adler oder Geier zu unterhalten, aber er verachtete auch sie. Da uns die Patronen ausgegangen waren, schossen wir mit der Davidka, und die Granate fiel ins Niemandsland zwischen uns und dem Feind, ohne zu detonieren. Wo habe ich damals gelegen?, wollte ich mal von Uri Bogin aus Kfar Malal wissen, der ein Held war und längst gestorben ist, und er erwiderte, wir hätten hinter Terrassen gelegen. Ich fragte ihn, ob er sich erinnern könne, dass wir uns totgestellt hatten, und er verneinte. Er war ein starker Mann. Ein Bauer. Älter als ich. Hatte nichts von meiner Phantasie. Ich fragte ihn, ob die Araber die Granate der Davidka deshalb nicht anzutasten wagten, weil wir allerlei Uhren in die Riesendinger eingraviert hatten. Man hatte sie über Funk von einer Atombombe reden hören, und da warteten sie wohl darauf, dass die Jordanier sie entschärfen würden.
    Uri hielt das durchaus für möglich, konnte sich aber nicht recht an einen Davidka-Blindgänger dort entsinnen. Ich erinnerte mich, dass wir nirgendwohin fliehen konnten und wohl tatsächlich hinter Terrassen lagen. Der Himmel dehnte sich endlos über uns, weit und hässlich mit all den flitzenden und kreischenden Raben, und ich weiß noch, dass wir Tote mimten, denn der Feind saß erhöht und sah uns, sah genau jeden Einzelnen, und wir lagen jeder für sich, krampfhaft um Deckung bemüht. Ich erinnere mich, dass neben mir mein Jugendfreund Menachem lag, der auch auf meiner Schule war und meine Mutter als Lehrerin hatte. Dabei bin ich gar nicht sicher, ob er mich besonders mochte, schließlich war ich ein Jahrjünger und dazu noch der Sohn seiner Lehrerin und des Museumsdirektors, aber ich hatte ihn sehr gern, und wir lagen nebeneinander. Uri meinte, Menachem habe weiter weg gelegen und der neben mir sei ein anderer gewesen. Ich sei ziemlich exponiert gewesen, hätte nicht genug Verstand besessen, um gute Deckung zu suchen, und deshalb glaubte ich wohl, ich hätte mich totgestellt. Es war wirklich grauenhaft dort.
    Ich weiß noch, dass wir keinen Mucks zu machen wagten. Wir begriffen, dass sie das Weiße in unseren Augen sehen konnten, und schlossen sie deshalb. Wir hörten sie lachen. Das war der entscheidende Moment in der Geschichte der Davidka, die nun gerade deshalb, weil die Granate nicht losging, ihre Aufgabe erfüllte und uns vor einem Gemetzel bewahrte. Ich habe einmal eine Geschichte darüber geschrieben und möchte das hier nicht im Einzelnen wiederholen.
    Durch die Wimpern sah ich sie auf einem Feuerchen Kaffee kochen, der Rauch wehte zu uns herüber, und es herrschte dort große Heiterkeit. Sie hatten es nicht eilig, sangen und schossen aus Langeweile in unsere Richtung, obwohl sie uns für tot hielten, schrien auf Hebräisch, weil sie wohl meinten, das verständen auch tote Juden. Sie schrien: »Wir töten die toten Yahud «, und das klang so schön wie ein Gedicht, wir töten tote Juden, und die ganze Zeit wurden die vermeintlichen Toten verwundet und die bereits Verwundeten ebenfalls, ohne dass man sich rühren durfte. Ich spürte etwas Warmes über meine rechte Hand rinnen, sah durch die halbgeschlossenen Lider den Geier wie eine Art Gott über Menachem kreisen. Erfasste, dass es sein Blut war, was mir da über die Hand rann. Ganz langsam floss es, ich hörte keinen Laut. Vielleicht hat Uri recht, und Menachem ist woanders verblutet, aber fürmich ist er neben mir gestorben. Die Raben tanzten, um den Geier zu unterhalten, die Sonne hüllte sich in einen Nebelschleier, und ich wollte schreien, hatte aber keine Stimme. Man sagte mir, Menachem habe sich angeblich mit einer Handgranate in die Luft gesprengt. Wenn das stimmt, ist er tatsächlich nicht neben mir gestorben, aber den Toten ist das egal.
    Nach drei, vielleicht auch vier Stunden richtete ich mich auf. Ein

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