1948 - Roman
wieder raufgerufen. Benny Marshakhatte einen Kinnschuss abbekommen, und jemand lachte und sagte, jetzt, mit dem Pflaster überm Mund, könne Benny nicht mehr schreien, doch kaum hatte er ausgelacht und ausgeredet, traf ihn eine Kugel, und er fiel tot um. Ich schoss fieberhaft. Auf wen, weiß ich nicht mehr. Ich erinnere mich nur an die Richtung. Spontan ging ich runter zu der Nonne. Ihre Scham lag entblößt. Seither tue ich mich schwer mit dem Anblick, obwohl ich ihn einst herbeisehnte. Ich zog ihr Kleid herunter, um ihren Leib zu bedecken. Eine Kugel zischte an mir vorüber, und der Sanitäter warf mir einen jodgetränkten Lappen zu, mit dem ich mir den Arm abwischte, weil ich vielleicht einen kleinen Splitter abbekommen hatte. Und die tote Nonne, wenn sie denn eine war, war wieder bekleidet, und ich drückte ihr die Augen zu und wollte ihr auch den Mund schließen, was sich jedoch als schwierig erwies, denn er wollte nicht zugehen, und ich musste drücken. Dabei hörte ich Dado zu Raful sagen, wir hätten keine Überlebenschance mehr, müssten aber bis zuletzt kämpfen.
Ich erfuhr – woher, weiß ich nicht mehr –, dass man Sprengstoff auf den Zimmerböden ausgelegt hatte, um die Schwerverwundeten im Fall eines Rückzugs in die Luft zu sprengen, da wir sie nicht würden bergen können. Ich lief hinauf, schoss und betrat dann ein ziemlich großes Zimmer. Die Verwundeten lagen dort stumm und traurig, blickten sich um und schienen zu ahnen, was ihnen bevorstand. Einer rief mir etwas zu, vielleicht kannte er mich, und dann starb er. Ein anderer blutete, das Blut lief ihm in den Mund. Jeder hielt seine Handgranate fest, um nicht in Gefangenschaft zu fallen. Wer weder tot noch verwundet war, schoss weiter. Raful rief, die da drüben seien Iraker, mit einem Geschütz, das sogar schieße. Zeit verging. Ich weiß nicht, wohin die Zeit entfloh, und wirgingen zum Teufel, es war klar, dass wir ausgelöscht werden würden.
Doch dann hieß es, wir müssten abziehen, erbarmungslos, Verwundete dürften keine zurückbleiben. Ein schmales Rinnsal von Blut lief neben mir, und ich war nicht sicher, ob es meines war oder das von Chanan, den ich wütend rennen und schießen und hochklettern und kämpfen sehen hatte. Jemand hatte die toten Nonnen weggeschleppt, wohin, weiß ich nicht, und das Feuer wurde heftiger, und mir gingen die Patronen aus. Neben mir hatte auch keiner mehr welche, und Raanana, der die Operation befehligte und der mutigste und klügste Befehlshaber war, der mir je begegnet ist, rannte herum und erteilte Befehle, und alle hörten auf ihn. Alle wussten, dass wir keine Chance hatten, dass die Araber sehr zahlreich waren und gut kämpften. Doch dann sahen wir auf einmal feindliche Lastwagen in der Ferne abfahren, vielleicht hasteten sie nach Gusch Etzion, das ums Überleben kämpfte. Jemand von uns schrie, der Feind ziehe ab, und ich spähte durch eine Luke und sah, wie sie abzogen und Verwundete schleppten, sah ihre Leichen auf den Felsen liegen.
Ich meine, die Sonne hätte geschienen, vielleicht war Chamsin, vielleicht auch nicht. Ich benutzte meinen Ärmel, um die Blutung am Arm zu stillen, die langsam versiegte. Und Dado rief: Sie ziehen ab, schießt auf sie mit allem, was ihr habt. Schreie waren zu hören, eine Kompanie des Bataillons und eine Infanteriekompanie waren unter schwerem Beschuss aus Jerusalem zu uns durchgekommen und hatten Waffen und Munition und auch Wasser mitgebracht. Benny Marshak tobte vor Wut, denn schreien konnte er ja nicht, und Schreien war seine Art zu reden. Die Infanteristen kümmerten sich um die Verwundeten. Stille trat ein. Dado blickte dem abziehendenFeind nach und sagte: Das war Auge in Auge, sie haben zuerst mit der Wimper gezuckt, und das fünf Minuten bevor wir kapituliert hätten. Ari-Name-geändert kam auf mich zu. Er sagte was, dann knallten Schüsse, und er fiel tot um. Ich küsste ihn auf den Mund. Er war der einzige Mann, den ich je im Leben geküsst habe. Wir brachten die vielen Toten in eine Ecke auf dem Dach. Später, vielleicht nach einer, vielleicht nach sechs Stunden, war dort alles überstanden.
Wir liefen runter nach Katamon und eroberten das Viertel in ziemlich leichtem Kampf. Auf dem Rückweg sahen wir Jerusalemer zum Plündern rennen, während wir singend durch die Stadt schlenderten und die Einwohner, die nicht plündern gingen, uns Beifall klatschten. Die Bewohner von Katamon waren aus ihren stattlichen Häusern geflohen, hatten gedeckte Tische und
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