1948 - Roman
aber natürlichder Einladung, und wir trafen uns auf dem Flugplatz Sde Dov im Norden von Tel Aviv. Dado begrüßte mich, und wir stiegen mit weiteren Offizieren in den Hubschrauber. Ich sagte ihm, Itzig Manger habe einmal geschrieben, als der letzte Zigeunerkönig starb, seien zehntausend Geiger gekommen, um zu seinem Gedenken zu spielen – und auf sein verwundertes Gesicht hin erklärte ich, Manger habe sicher sagen wollen, dass zehntausend jüdische Könige im Gedenken an einen einzigen Zigeunergeiger gespielt hätten.
Im Hubschrauber stand ich ziemliche Angst aus, weil der Pilot die hohen Offiziere an Bord mit Flugakrobatik beeindrucken wollte. Er tauchte in Wadis ab und zog wieder hoch, und mir wurde angst und bange. Der Offizier, der neben mir saß, schrie mir zu – im Hubschrauber ist es sehr laut, deshalb musste er schreien –, dass ein Hubschrauber ein sehr sicherer Flugkörper sei. Er hieß Israel Tal, genannt Talik. Bei dem Gelöbnis suchte ich mir einen Sitzplatz nahe der Stelle, an der ich vor dem Krieg gestanden und die Lichter des Paradieses gesehen hatte. Talik setzte sich neben mich und sagte, er wolle sich mit mir über Leibniz unterhalten. Ich blickte ihn an. Er strahlte so eine verhaltene und kühne und freundliche Kraft aus. Wir saßen an der Felskante und sprachen über Leibniz, über Spinoza, er zitierte Platon, und wir unterhielten uns eine ganze Weile. Es war eine Gnadenstunde. Hinter uns wurden die Soldaten vereidigt, die in den nächsten Kriegen sterben würden, und jemand sang ein dummes Lied. Wie saßen auf dem Massada-Felsen mit Blick auf die Wüste, in der man immer noch Gott sieht, auch wenn er nicht da ist, auch wenn man unmöglich an ihn glauben kann, und auch wenn ich auf ihn schießen würde, so es ihn denn geben sollte. Im weiten Dunkel sah es aus, alswäre er noch da, würde die Welt weiter erschaffen, würde Gebirge falten, Hügel ausschneiden, gelbe Berge rot färben. Von jenem Abend an liebte ich Talik, den Mann, der später Dado als Kommandeur der Panzertruppe ablösen und den Kampfpanzer Merkava einführen sollte.
17
Ich erinnere mich kaum noch an die Frauen in der Brigade, obwohl ich sie gesehen habe. Sie waren älter als ich. Waren den Großen und Starken und Altgedienten vorbehalten, für mich schienen sie aus einer anderen Welt zu stammen. Ich war zu schüchtern, um dem ernsthaft nachzugehen, sehnte mich aber nach Zärtlichkeit und träumte einen Traum, den ich bis heute im Gedächtnis habe. Zweiundsechzig Jahre ist es her. Im Traum saß ich auf einem Liegestuhl am Frischmann-Strand, nahe dem Billardclub, neben mir eine junge Frau, etwas älter als ich, ihr Haar glitt auf mich herab, als sie sich über mich beugte, ihre und meine Lippen sich näher kamen und unversehens von irgendwoher – außerhalb von ihr und mir – ein Kuss auftauchte, wie aus einem Film mit Hedy Lamarr im Mughrabi-Kino. Und diese Frau regte sich und sagte etwas Schönes, und ich sah sie an, und sie entschwand.
Ich erinnere mich: Als man Jimmys Leichnam in die Kirche von Abu Gosch getragen hatte, hob sein Vater, der Maler Menachem Shemi, die Decke ab, und eine junge Frau rückte die Leiche zurecht und nahm ihr das Tuch vom Gesicht, und Shemi sagte kein Wort, seine Züge blieben kalt und starr. Er zückte Zeichenblock und Bleistift und zeichnete lange das Antlitz seines toten Sohnes, ohne einen Gesichtsmuskel zu verziehen. Er war so konzentriert, als sei er selbst gestorben, anstelle seines gutaussehenden Sohnes.
Danach nahm mich eine junge Frau – wer sie war, weiß ich nicht mehr – mit hinaus ins Freie, um aus einem Tonkrug Wasser zu trinken. Wir saßen im Schatten eines dichten Feigenbaums. Sie sagte, sie hätte genug von all diesem Tod. Einen Augenblick liebte ich sie vielleicht. Sie stellte den Krug an einen schattigen Platz und sagte: Rat mal, wovon ich träume. Ich dachte nach: Wovon könnte ein Mädchen schon träumen? Der Tod war das Gegenteil von einer jungen Frau, und er regierte überall. Gerade eben hatten wir gesehen, wie ein Maler seinen toten Sohn zeichnete. Wovon mochte sie träumen? Ich wusste es nicht, und sie vergaß die Frage, die noch im Raum stand, als die junge Frau schon aufgestanden und verschwunden war, und mir schien, eigentlich wollte ich, dass sie ging, obwohl es der schönste, ruhigste, persönlichste, süßeste und wunderbarste Moment in meinem damaligen Leben war, das noch nicht so lange währte.
Unsere Mädels in den Jerusalemer Bergen kleideten sich mit
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