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1948 - Roman

1948 - Roman

Titel: 1948 - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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auch wenn der Heilige, gelobt sei er, sie von der Verantwortung für unser sündiges Verhalten freisprechen sollte, getroffen werden konnten, aber sie fürchteten sich nicht.
    Mir gefiel ihre Furchtlosigkeit. Ihre Hingabe. Der Umstand, dass sie keinen Menschen und keinen Gefährten und keinen Gott beschuldigten. Sie hatten den Heiligen, gelobt sei er, der sie beschützen oder abschlachten mochte. Doch die Verachtung, die sie uns entgegenbrachten, begriff ich nicht. Sie hassten nicht die Araber, sie hassten uns. Wie mein Vater einmal in einer Gnadenstunde sagte, hätten wir – laut dem talmudischen Gebot, nicht geschlossen nach Israel hinaufziehen – uns nicht gegen die weltlichen Völker auflehnen und ohne Messias keinen Staat gründen dürfen. Sie beschimpften und verhöhnten uns junge, ungläubige jüdische Soldaten auf offener Straße. Wir waren zwei verschiedene Völker. Sie sind gekommen, uns zu zerstören, rief einer von ihnen, und wir bliebenstehen. Kinder, die einem alten Film über Juden in Lublin entstiegen zu sein schienen, sahen aus, als sei das hier nichts anderes als die Generalprobe für ein Stück über armselige Juden, die von Minute zu Minute dreister wurden.
    All das weckte bei mir aber auch Freude und Sehnsucht nach etwas, das ich nicht bestimmen konnte. Ein hochgewachsener Mann, der seiner ganzen Kleidung nach wie ein Gotteskrieger aussah, kam auf uns zu und sagte etwas auf Jiddisch. Ich konnte kaum Jiddisch. Er bekundete seine Geringschätzung durch lautstarkes Schnäuzen und sagte im altertümlichen Hebräisch der biblischen Klagelieder, er wünsche, dass wir an einer Hochzeit teilnähmen, die gerade in einem jener kleinen Festsäle stattfände, wo man den Sieg der Araber erwarte, und wir sollten das Ende der Tage nicht herbeiführen und dem Messias nicht ins Handwerk pfuschen, denn er werde kommen, wenn wir ihn nur ließen und nicht gegen ihn zu Felde zögen. Die Granaten würden sie hier nicht treffen, erklärte er. Ich sagte ihm, dass wir am Eingang zum Viertel ein paar Leichen gesehen hatten. Da blitzte trauriger Schalk in seinen Augen auf, und er sagte fast vorwurfsvoll: Schon in Ordnung, das sind keine von uns. Eure Bürgerwehr wird kommen und sie abholen.
    Wir folgten dem großen schlanken Mann in einen dampfenden kleinen Saal, wo Männer schwerfällig Hora tanzten, voll Geringschätzung und in erloschenem Glanz. Frauen sah man nicht, außer einem jungen Mädchen, das wohl die Braut war. Sie wirkte nicht älter als zwölf oder dreizehn Jahre, und was mich erstaunte, war ihre triumphierende Miene, als hässliche, singende Männer sie auf die Schultern hoben. Sie sah glücklich aus. Sie bemerkte uns. Sie verachtete uns zutiefst. Sie warf uns hasserfüllteBlicke zu, aber es lag auch ein Flehen in ihren Augen, als wolle sie sagen, nun geht schon, ihr verwirrt mich mit euren Eitelkeiten, mit denen sie nichts anderes meinte als unsere zwei Maschinenpistolen und die Patronentaschen und die Handgranaten, die wir am Gürtel hängen hatten, um uns im Notfall umbringen zu können, und ich hatte auch noch eine halbleere Feldflasche dabei.
    Jetzt singt mal, sagte der Mann. Wir wussten nicht, was wir singen sollten. Waren fasziniert, aber auch abgestoßen von ihren Schabbes-Rufen, ihrem Geschrei, den weißen Fahnen, die sie gegen uns gehisst hatten. Durch eine Trennwand aus Stoff sahen wir die Augen der kreischenden Frauen und sonst nichts von ihnen. Sie lugten durch die Löcher.
    Und dann, in einer Trauer, die nicht wenig Sehnen nach mir selbst enthielt, da ich nun losgelöst war von dem ganzen erez-israelischen Leben, das ich kannte, vom Krieg, vom Zionismus, von den Liedern über die hebräischen Wächter am Grab von Scheich Abrek und über den Tod, empfand ich ein heimliches Glücksgefühl. Dieses Glück richtete sich auch gegen den Mönch vor dem Kloster Notre-Dame. Ich befand mich jetzt praktisch im Ausland, im Haus meines Großvaters, den mein Vater verleugnete. Ich war wieder bei meinem Großvater Mordechai, dem Bäcker in der Tel Aviver Amos-Straße, dessen Schabbat-Brote viele Leute gern aßen. Ich ging immer freitags zu ihm, um Schabbat-Brote einzukaufen, sah die Traurigkeit in seinen Augen, und ich sah meine Großmutter Malka, die sich in einem mit Wolldecken verhängten Zimmer versteckte, aus Angst vor der Sonne und vor den Arabern auf ihren Eseln und vor den »wilden Kindern«, wie sie sagte, hinter dem Markt in der Basel-Straße. Wenn sie mal redete, was selten vorkam, wollte sie

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