Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
1948 - Roman

1948 - Roman

Titel: 1948 - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
Vom Netzwerk:
Temperatur und begann zu fiebern.
    Der deprimierende Keller mit all den Verwundeten, demSchmerz und Gestank hatte eine Gewölbedecke. Neben jedem der Lumpensäcke, die als Matratzen dienten, stand ein Nachttopf. An der Wand gegenüber hing ein Bild vom Jesuskind mit seiner Mutter. Eine Nonne untersuchte mich, und dann wurde ich in einen Raum verlegt, der einem Schlachthaus glich. Blut floss dort. Verwundete wurden operiert. Schrien. Riefen nach ihren Müttern. Stöhnten. Blutbespritzte Ärzte schufteten. Ein Arzt kam zu mir und nannte seinen Namen, sagte, man habe eine beginnende Gangräne bei mir festgestellt und müsse das Bein abnehmen. Sie hätten schon Uri und Margolin, die mit mir im Panzerwagen eingetroffen waren, amputiert. Jetzt sei ich an der Reihe, und es gäbe keine Narkosemittel. Die Soldaten waren derart erschöpft, dass sie alles hinnahmen. Gebt uns nur ein bisschen Wasser. Gebt uns Hoffnung, einfach irgendwelche Hoffnung. Aber die war für die Schmerzgekrümmten hier knapp bemessen.
    Ich schlotterte vor Angst, wollte mein Bein nicht verlieren. Heute habe ich keine Ahnung mehr, wie ich wen dazu gebracht habe, einen entfernten Verwandten an mein Bett zu holen, der Arzt am Hadassa-Krankenhaus war. Sie wussten, wen ich meinte, und er kam. Er erinnerte sich nicht mehr, wie ich aussah, schätzte aber meine Mutter, die er als mutige und großartige Frau bezeichnete. Dann entbrannte eine heftige Debatte, die in Geschrei ausartete, und unterdessen sah ich, wie einem Soldaten das Bein amputiert wurde. Er schrie vor Schmerzen, und sein Blut spritzte bis zu mir herüber. Mein Verwandter sagte, sie hätten kein Penicillin, das den »Fluch« aufhalten könnte, wie er die Gangräne nannte, und die Piloten der kleinen Flugzeuge bemühten sich schon zwei Tage lang, Penicillin und andere Medikamente abzuwerfen, die im Land eingetroffen seien, aber der Wind wehe zu stark.
    Ich kann heute beim besten Willen nicht mehr sagen, warum sie Erbarmen mit mir hatten, oder vielleicht dachten sie, ich würde ohnehin sterben. Sie legten mich auf ein schmales Bett, zurrten mich fest, holten Eskimo, den größten Schläger der Brigade, der ein paar Jahre später Oberstleutnant für Schlagkraft wurde. Eskimo brachte einen Soldaten mit, der eine Flasche in der Hand hielt. Ich war benommen vor Schmerzen, Eskimo drückte mir mit seiner eisernen Hand die Flasche in den Mund, gefüllt mit einer scharfen Flüssigkeit, von der ich später erfuhr, dass es Cognac war. Er ließ mich nicht ausspeien, und ich trank die halbe Flasche leer und erstickte schier.
    Eskimo fing an, hart auf mich einzudreschen. Ich wusste nicht mehr, wo ich mich befand, und war wie betäubt. Halb ohnmächtig bemerkte ich zwei Ärzte, die mir das Bein aufschnitten und die steckengebliebene Kugel herausholten. Der eine ging hinaus. Eskimo schlug weiter, und ich erinnere mich an eine große Wolke in seinen Augen. Dieser Sohn verkehrter Widerspenstigkeit, Eskimo Schnelle-Beute, schlug und schlug, und ich war nicht da, ich flog, ich schrie vor Schmerz. Als ich später aufwachte, habe ich mir, glaube ich, die Seele aus dem Leib gekotzt. Sie brachten mich in einen Nebenraum, legten mich nieder und sagten, mein Verwandter sei da gewesen und gegangen, habe aber versprochen wiederzukommen, um nach mir zu sehen. Und halt dich wacker. Ich lag einen ganzen Tag halb ohnmächtig vor Schmerzen. Ein Arzt trat ein und sagte: Einer der beiden Piloten mit den Medikamenten hat es geschafft, Penicillin abzuwerfen, du bist also gerettet.
    Ich wurde in den großen Saal zurückverlegt und bekam alle drei Stunden eine Penicillin-Spritze in den Hintern, der bald siebartig durchlöchert war. Langsam fühlte ichwieder etwas, spürte meinen Körper, und die Schmerzen ließen ein wenig nach. Auf die Matratze neben mir legten sie einen Mann, der keine Augen und keine Beine mehr hatte und voller Splitter steckte. Ich sah einen jungen Menschen auf der sich rötenden Matratze zerfallen. Er weinte. In der früheren Welt hatte ich nie jemanden ohne Augen weinen sehen. Der Junge murmelte dauernd, erschieß mich … erschieß mich.
    Manchmal stand ein junger Mann bei ihm, sein Bruder, wie es hieß, auch verwundet, aber nur leicht. Er sagte, er würde seinen Bruder erschießen, wenn keine Besserung einträte, was für ein Leben erwarte ihn denn noch, und ich fühlte mich dem Halbtoten verwandt. Beneidete ihn vielleicht, weil er so schwer verwundet war. Ich versuchte, ihn anzufassen, aber mein Arm war nicht

Weitere Kostenlose Bücher