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1948 - Roman

1948 - Roman

Titel: 1948 - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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zu singen. Wir waren ausgelaugt, vollgestopft, wütend und beschämt, und ich habe keine Ahnung mehr, wie das dort ausgegangen ist.
    Dann kam ich nach Jaffa, ins Donolo-Krankenhaus. Man untersuchte mich. Wechselte den Gips. Gab mir Spritzen. Säuberte mich. Eine Krankenschwester hielt mich fest, damit ich nicht umfiel, und führte mich unter die Dusche. Es war meine erste Dusche seit der Körperwäsche auf dem Hof in Kirjat Anavim, und ich erlaubte mir einen Höhenflug. Sie seiften mich ein, schnitten mein wild gewachsenes Haar, rasierten mich, und ein paar Tage später, als mein Magen nicht mehr aufbegehrte, fuhren sie mich per Krankenwagen zu meinen Eltern. Ich traf am Vormittag ein. In der Straße hatte sich meine Heimkehr schon herumgesprochen. Nachbarn standen auf den Balkonen und bewarfen mich mit Bonbons und Blumen, abermeine Eltern und meine Schwester waren nicht da. Meine Mutter unterrichtete zu dieser Zeit in der Schule, und mein Vater war im Museum. Alle umringten mich bewundernd, aber keiner kam darauf, dass meine Eltern gar nicht zu Hause waren. Als die Welle der Begeisterung verebbt war, ging jeder wieder seinen Verrichtungen nach. Also stieg ich langsam in den dritten Stock hinauf und wartete. Meine Schwester Mira war damals noch klein und kam aus der Schule heim. Sie war ganz aufgeregt und ließ mich in die Wohnung, und meine Eltern, die offenbar alarmiert worden waren, kamen im Laufschritt an. Der Junge ist aus dem Krieg zurück.

20
    Nach ein paar Tagen daheim holten sie mich zurück ins Donolo-Krankenhaus am Strand von Jaffa. Nach wenigen Wochen kam der Gips ab, und ich übte das Laufen. Ich wollte unbedingt an den Kämpfen teilnehmen, die nach Ablauf der Waffenruhe wieder aufflammen würden Der Palmach-Offizier Gabriel Rapaport, genannt Gavroche, kam und fragte, wie es mir ginge. Besser, sagte ich. Er fragte: Ich hab gehört, dass du wieder zurückwillst. Ich sagte, ja. Er bot mir an, mich mit ein paar anderen Soldaten von der Harel-Brigade, die nicht umgekommen waren, zusammenzulegen, und sagte, wir müssten uns in Ramla treffen, um eine Kommandoeinheit der Brigade aufzubauen. Ich solle zum Opernhaus gehen, wo man das Hauptquartier der Marine eingerichtet hatte. Dort würden wir den Jeep nehmen und nach Ramla fahren.
    In der Nacht floh ich aus dem Krankenhaus. Ich traf zwei Kameraden, die auf mich warteten, wir gelangten zum Hauptquartier, an dessen Tor zwei Wächter standen. Wir sagten, wir wollten den Jeep nehmen, weil wir ihn in Jerusalem bräuchten. Sie verstanden kein Hebräisch, und es gab ein Handgemenge. Wir besiegten die Jungs, die gerade erst eingezogen worden waren, und fuhren mit dem Jeep nach Ramla.
    Ramla war leer und mit Stacheldraht eingezäunt. Die vertriebenen oder geflüchteten arabischen Einwohner der Stadt hatten in ihrer Hast Gerüche, Kleidungsstücke,Möbel zurückgelassen. Ihre Abwesenheit war deutlich zu spüren. Ramla, die Hauptstadt der Sandflächen, Ramla, die belebte Stadt mit ihren schönen Häusern, ihren breiten Straßen, ihren ausladenden Akazien und Sykomoren, die sich zu hübschen Alleen reihten, Ramla war menschenleer. Die Stadt, die in der prallen Mittagssommersonne gleißte, sah aus, als sei ein Sturm über sie hinweggebraust, der alles Leben vernichtet und nur die Gebäude verschont hatte. Sie war von den übrigen Landesteilen abgeschnitten, von Stacheldrahtrollen umgeben. Soldaten, in der Mehrzahl Neueinwanderer, die kein Hebräisch sprachen, bewachten sie. Esel irrten iahend durch die öden Straßen. Ein Kamel kaute langsam, schien nicht zu begreifen, wohin sein Besitzer verschwunden war. Dattelpalmen und Kaktushecken und der Geruch versengter Lebensmittel. In den Häusern sah man gedeckte Tische. Sah Speisen auf den Tellern vertrocknen. Magere, hungrige Hunde stöberten scheu in den letzten Abfallhaufen, ihr Bellen klang schrill in der hallenden Leere.
    Ein großer Besen war durch die Stadt gefahren und hatte alle hinweggefegt, Kinder, Frauen, Alte, Junge, nur ihre Hohlräume hinterlassen. Der Gedanke, dass das hebräische Wort Chalal sowohl »Hohlraum« als auch »Gefallener« heißen kann, machte die Sache noch haarsträubender. Die Menschenleere bedrückte mich, und trotz der kürzlich erlebten Kriegsgräuel konnte ich ihr nicht gleichgültig begegnen, war aber, zu meiner Schande, auch noch nicht fähig, richtig wütend zu werden. Ich war jung. Ich hatte Kameraden sterben sehen. Hatte Gräuel auf beiden Seiten erlebt, war abgestumpft, meinte, keine

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