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1968 - Ketzer der Tazolen

Titel: 1968 - Ketzer der Tazolen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannt
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besonders intelligente und aufnahmefähige Mädchen ausgebildet und ihr Wissen an sie weitergereicht. Jede Priesterin hatte sich im Verlauf ihrer Ausbildung einem Spezialgebiet zugewandt, an dem sie ihr Leben lang arbeitete und ihr Wissen weitergab.
    Isho hatte ebenfalls ein Spezialgebiet, und das betraf die Zeit. Die Männer legten sehr viel Wert darauf, bestimmten Göttern an bestimmten Tagen zu opfern. Die Pflanzen konnten nicht einfach in die Erde gesetzt oder angesät werden, auch dafür musste man den richtigen Zeitpunkt abpassen. Für die Jagd war es ebenso wichtig, zu welchen Zeiten welches Wild erlegt werden durfte, um seinen Bestand nicht zu gefährden - und zu manchen Zeiten waren einige Tiere schlicht ungenießbar, und wenn sie noch so lange gekocht wurden.
    Außerdem arbeiteten die Frauen immer noch daran, das Schlammbad mit Düften und Kräutern zu verfeinern, um die Körper zu stärken und die Lebenszeit zu verlängern. Isho erschien es wichtig, dass die Altersspannen nicht mehr einfach nur nach den Jahreszeiten gezählt wurden, denn inzwischen kam da bei den Männern schon eine ganze Menge zusammen. Tatsächlich war es so, dass regelmäßig die Jahreszeiten wiederkamen und die Sterne sich am Himmel veränderten. Inzwischen waren die Siedlungen auch schon so gewachsen, dass man immer mehr an Vorratshaltung denken musste - die ebenfalls nach bestimmten Kriterien stattfand. Die Frauen begannen, an die Zukunft zu denken. Nicht etwa an die nahe Zukunft, wie viele Kinder sie gebären und aufwachsen sehen würden. Sondern weiter, dorthin, wo das Bad sie eines Tages genauso stark und langlebig wie die Männer machen würde.
    Isho konnte sehr gut beobachten, und sie war es, die zum ersten Mal schriftliche Aufzeichnungen begann. „Es könnte doch sein", sprach sie zu den weisen Frauen, „dass eine von uns plötzlich stirbt, ohne ihr Wissen ganz weitergegeben zu haben."
    „Verzeih mir, Isho", wandte eine von ihnen ein „doch du musst daran denken, wie wichtig es ist, diese Geheimnisse niemals den Männern zu offenbaren."
    „Wir kennen inzwischen fast zu viele Geheimnisse, und manche müssen wir sogar teilen", argumentierte die Hohepriesterin. „Viele Erfindungen, die uns den Fortschritt bringen, müssen wir den Männern zuteil werden lassen. Sie sind uns körperlich überlegen, und es dient unser aller Wohl. Aber die Geheimnisse der Medizin und des Bades dürfen wir niemals preisgeben, das ist wahr."
    Bereits damals, in diesem noch recht primitiven Stadium, wussten die Frauen genau, dass es ihr Untergang wäre. Die Männer wären nicht mehr von ihnen abhängig, und die Frauen waren ihnen in jeder anderen Hinsicht unterlegen. Allerdings legten die Männer zu diesem Zeitpunkt keinen Wert auf diese Geheimnisse. Sie sahen in der Führung der Frauen nichts Unrechtes, denn für alle wurde gleichermaßen gut gesorgt. Dennoch war es Isho, die - unbeabsichtigt - den Grundstein für den Untergang des Matriarchats legte. Zwei Dinge geschahen, etwas Positives und etwas Negatives. Beides untrennbar miteinander verbunden. Es war Glück und Katastrophe zugleich.
    Zunächst beschäftigte sich Isho damit, ein Kalendarium aufzustellen. Zusammen mit dem Wissen der bisherigen sowie der weiteren Beobachtungen begann sie, nach Zusammenhängen über wiederkehrende Ereignisse und dem tazolischen Lebenszyklus zu suchen. Weil sie das alles unmöglich in ihrem Kopf behalten konnte, fing sie an, Zeichen und Symbole in gebrannte Tontafeln zu ritzen. Sie erfand eine Art Bildschrift, die möglichst einfach zu lesen sein sollte, und stellte ein allgemeingültiges Zahlensystem auf.
    Als sie eines Tages damit fertig war, wunderte sie sich, wie einfach es eigentlich war - nachdem sie die Beziehungen zueinander endlich herausgefunden hatte. Das tazolische Jahr begann. Der Fruchtbarkeitszyklus einer Frau dauerte 37 Tage. Ebenso lange brauchte Ramsoh, um voll und rund vom nächtlichen Himmel herab zu strahlen, bevor sie wieder schwächer wurde und abnahm, um für kurze Zeit ganz zu verschwinden. Ramsoh war anders als Hilor, sie schenkte den Tazolen das Leben, indem sie ihr eigenes dafür gab. Doch nur für kurze Zeit - als unsterbliche Göttin erstarkte sie nach jedem Zyklus aufs neue, um Leben zu schenken und erneut zu sterben.
    Zehn mal 37 Tage vergingen, bis eine Frau zur Geburt bereit war. Isho hatte sehr lange Aufzeichnungen geführt, um zu erkennen, dass nach genau dieser Frist das Leben auf Tazolar nach den Winterfrösten erneut begann

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