197 - Der Geist im Kristall
über den Wasserstreifen, der den Massivsockel umgab: Wie ein silberner Ring schmiegte er sich an ihn. An seinen Ufern warfen bizarre Steingebilde ihre Schatten auf Tümpel und Erdspalten.
Irgendwo dazwischen streifte etwas Buntes das Blickfeld des Rochens. Thgáan stutzte. Was war das? Er flog einen weiten Bogen und sank ein wenig tiefer. Und tatsächlich entdeckte er etwas, das nicht hierher gehörte. Es sah aus wie ein aufgeblähtes, blau-rotes Tuch. Das musste Thgáan sich aus der Nähe ansehen.
Es dauerte nicht lange, bis er über der Stelle kreiste, an der das vermeintliche Tuch lag: eine weitflächige Senke zwischen Steinformationen und klaffenden Erdspalten. Nicht besonders tief. Darin lag das blau-rote Ding. Es hatte die Form einer zusammen gepressten Kugel und hing an einem ovalen Kasten aus Holz, Glas und Metall. Wie kam es hierher?
Thgáan zog größere Kreise, um in der näheren Umgebung nach Lebewesen zu suchen. Aber da war nichts und niemand.
Oder doch? Etwas berührte seine mentalen Sensoren. Er lauschte. Es war schwach und unregelmäßig. Thgáan flog zurück, bis er wieder über der Senke schwebte. Der mentale Impuls wurde stärker. Langsam ließ er sich sinken. Je näher er dem Ding kam, umso deutlicher nahm er ihn wahr.
Schließlich landete der Riesenrochen neben dem Kasten. Er hatte Fenster, und eine Luke verschloss seine Seite. Im Inneren sprang ein Vierbeiner zähnefletschend von einer zur anderen Scheibe. Der Lesh’iye identifizierte ihn als Lupa. Noch einen weiteren lebenden Organismus machte er aus: ein hellbraunes Fellknäuel, das um den Schädel des Lupas flatterte. Größer als ein Insekt und wesentlich kleiner als jeder Vogel, den Thgáan je gesehen hatte. Von diesem merkwürdigen Wesen ging der Impuls aus.
Der Rochen ertastete das Bild eines Mannes, der durch eine der Felsenspalten in den Wandler kletterte. Thgáan konnte es kaum fassen: Es war Mefju’drex! Der Erzfeind der Daa’muren befand sich im Wandlermassiv! Was hatte er hier zu suchen – und war er alleine?
Die spitzen Reißzähne des Lupas kratzten über das Fensterglas. Thgáan beobachtete, wie das fliegende Fellknäuel auf dem Kopf des Vierbeiners landete. Zwei winzige Augen fixierten den Rochen.
Unruhig kratzte Thgáans Stachel über die warmen Steine unter seinem Körper. Er wollte mehr wissen. Aber das haarige Insekt schien nicht mehr auf Sendung zu sein.
Gleichgültig. Wenn Mefju’drex hierher gekommen war, dann plante er mit Sicherheit den Daa’muren zu schaden.
Thgáan selbst konnte ihm nicht in den Wandler folgen. Aber er konnte, nein, er musste Alarm schlagen. Der Letzte der Lesh’iye erhob sich in die Lüfte. Seine mächtigen Schwingen peitschten die Luft. Zurück zur Höhle des Sol!
(Wo bist du, Thgáan? Ich brauche dich sofort! Ich kann sie nicht mehr aufhalten!) Das war Ordu’lun’corteez. Aber der mentale Kontakt zu dem geflügelten Lun brach sofort wieder ab.
Was meinte er damit, er könne sie nicht mehr aufhalten?
Vermutlich schlugen sich die Daa’muren wieder gegenseitig ihre Echsenschädel ein! Aber darum konnte er sich jetzt nicht kümmern. Die Information, die er dem Sol zu überbringen hatte, war viel wichtiger.
Sein ehemaliger Herr würde sicherlich zum Wandlermassiv wollen, wenn er hörte, wer sich dort herumtrieb, und Thgáan konnte ihn in kürzester Zeit hinbringen
***
In der Höhle des Sol
»Seit wann verbünden wir uns mit Vertretern der Primärrasse?« Grao’sil’aanas Stimme hallte von den Wänden der Kristallkammer wider. Im Gegensatz zu den anderen hier war er darin geübt, seine Stimmbänder zu benutzen. Daa’tan war in dieser Hinsicht ziemlich stur. Wie auch in jeder anderen Hinsicht…
»Es dient unserer Sache, Grao’sil’aana«, erwiderte Liob’lan’taraasis, die auf einem der dunklen Steine saß.
»Außerdem haben wir ihn unter Kontrolle!«
»Habt ihr das?« In der Stimme des Sil lag ein scharfer Ton.
Seine Augen suchten Est’lun’bowaan. Gedankenversunken lehnte er an der Höhlenwand neben dem Kristall. Er schaute nicht einmal auf, als Grao’sil’aana ihn ansprach. »So wie damals, als er viele der Sprengköpfe zerstörte, die den Wandler wecken sollten?«
»Das war der andere Jeecob’smeis. Der Originalkörper«, warf Liob’lan’taraasis ein. »Die Geistkopie im Kristall des Sol hat sich anders entwickelt. Als wir sie damals anfertigten, haben wir sie glauben lassen, seine physische Hülle sei zerstört. Nach einer Phase der Verzweiflung haben
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