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1974

1974

Titel: 1974 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Peace
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an. »Ich glaub nicht, daß das ‘ne gute Idee ist.«
    »Bitte.«
    »Es hat ihn schwer mitgenommen. Er ist noch jung.«
    »Vielleicht hilft es ihm, wenn er darüber redet«, sagte ich und sah einen schmutzigen blauen Kinderwagen auf halber Höhe in der Senke.
    »Ist doch Blödsinn«, sagte er und schniefte.
    »Bitte.«
    »Fitzwilliam«, sagte Terry Jones, drehte sich um und ging davon.
    Ich duckte mich unter der blauen Polizeiabsperrung hindurch, hielt mich an der Wurzel eines toten Baumes fest, beugte mich in die Senke und zupfte eine weiße Feder von einem Busch.
    Ich hatte eine Stunde totzuschlagen.
    Ich fuhr an der Queen Elisabeth Grammar School vorbei, stellte den Wagen ab und lief im Regen zurück nach Wakefield; auf Höhe der Schule ging ich schneller.
    Noch 50Minuten.
    Es war Dienstag, ich ging über den Trödelmarkt, rauchte und wurde naß bis auf die Haut, starrte die Kinderwagen und Kinderfahrräder sowie die Reste der Wohnungsauflösungen an.
    Der Hallenmarkt stank nach nassen Klamotten, und wo früher Joe’s Books gewesen war, war noch immer ein Bücherstand.
    Ich schaute auf die Uhr meines Vaters und blätterte durch den Stapel mit den alten Superhelden.
    Noch 40 Minuten.
    Drei Jahre lang waren mein Vater und ich jeden Samstagmorgen mit dem 126er vom Busbahnhof in Ossett hergefahren, mein Vater hatte mit leeren Einkaufstüten auf dem Schoß dagesessen, die Post gelesen, hatte von Fußball oder Kricket geredet, und ich träumte von dem Stapel Comics, den ich immer als Lohn bekam, wenn ich Joe half.
    Jeden Samstagmorgen bis zu jenem Samstagmorgen, als der alte Joe nicht aufschloß und ich dastand und wartete, bis mein Vater mit zwei Tüten voller Einkäufe zurückkehrte, obendrauf der Käse, in Papier gewickelt.
    Noch 35 Minuten.
    Im Acropolis an der Westgate, wo ich mich mal in die Kellnerin verknallt hatte, zwang ich einen Teller Jorkshire Pudding mit Zwiebelsauce runter und kotzte alles sofort wieder auf dem kleinen Klo hinten in der Kneipe aus, wo ich mir immer vorgestellt hatte, die Kellnerin namens Jane zu vögeln.
    Noch 25 Minuten.
    Draußen im Regen ging ich zum Bullring, vorbei am Strafford Arms, dem härtesten Pub des Nordens, an dem Friseur vorbei, wo meine Schwester halbtags gearbeitet und Tony kennengelernt hatte.
    Noch 20 Minuten.
    Bei Silvio’s, dem Lieblingscafé meiner Mutter, wo ich mich nach der Schule immer heimlich mit Rachel Lyons getroffen hatte, bestellte ich mir ein Schokoladeneclair.
    Ich zog mein feuchtes Notizbuch aus der Tasche und las noch einmal die dürftigen Informationen durch, die ich über Mystic Mandy hatte.
    »Die Zukunft ist, wie die Vergangenheit, festgeschrieben. Sie läßt sich nicht verändern, aber sie kann helfen, die Wunden der Gegenwart zu heilen.«
    Ich setzte mich ans Fenster und starrte auf Wakefield hinaus.
    Die Vergangenheit der Zukunft.
    Es regnete so stark, daß die ganze Stadt wie unter Wasser wirkte. Am liebsten wäre mir gewesen, der Regen würde alle ersäufen und den ganzen beschissenen Ort fortspülen.
    Ich hatte all meine Zeit totgeschlagen.
    Ich trank die Tasse süßen Tee aus, ließ das Eclair liegen und ging zurück zur St. Johns Church; ein Teeblatt klebte mir an der Lippe; in der Tasche hatte ich eine Feder.
     
    Blenheim Road war eine der schönsten Straßen in Wakefield, mit großen, kräftigen Bäumen und großen, etwas zurückgesetzten Häusern auf ihren eigenen kleinen Grundstücken.
    Hausnummer 28 bildete keine Ausnahme, ein weitläufiges altes Haus, das in einzelne Wohnungen aufgeteilt worden war.
    Ich überquerte die Einfahrt, wich den vollgelaufenen Schlaglöchern aus und ging ins Haus. Die Fenster im Hausflur und an den Treppenabsätzen waren bleiverglast, und das ganze Haus stank wie eine alte Kirche im Winter.
    Nummer 5 war auf dem ersten Treppenabsatz rechts.
    Ich sah auf die Uhr meines Vaters und klingelte. Die Klingel klang nach Tubular Bells, und ich dachte an den Exorzisten, als die Tür aufging.
    Eine Frau mittleren Alters, frisch den Hochglanzseiten von Yorkshire Life entsprungen, in ländlicher Bluse und ländlichem Rock, streckte mir ihre Hand entgegen.
    »Mandy Wymer«, sagte sie und schüttelte mir kurz die Hand.
    »Edward Dunford. Von der Yorkshire Post«
    »Bitte, kommen Sie herein.« Sie preßte sich an die Wand und ließ die Tür offenstehen, als sie mir durch den dunklen Flur mit dunklen Ölbildern an den Wänden in ein großes dunkles Zimmer folgte, dessen große Fenster von noch größeren Bäumen verdunkelt

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