Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
1974

1974

Titel: 1974 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Peace
Vom Netzwerk:
GEBEN KONNTE ALS DIESES VERDAMMTE PECH.
    Du sollst alles kriegen, was du schon immer wolltest.
    Ich ging über den Treppenabsatz und öffnete die Tür zu Jeanettes Zimmer.
    So still und kalt wie in einer Kirche. Ich setzte mich auf die kleine rosafarbene Überdecke neben ihrer Sammlung von Teddybären und Puppen, ließ meinen Kopf in die Hände sinken, das Messer fiel zu Boden; das Blut an meinen Händen und die Tränen auf meinem Gesicht gefroren, bevor die Tropfen sich zu dem Messer gesellen konnten.
    Zum allerersten Mal galten die Gebete nicht mir, sondern allen anderen: daß nichts von alledem, was in meinen Notizbüchern stand und auf den Bändern zu hören war, nichts von alledem, was sich in den Umschlägen und Plastiktüten in meinem Zimmer fand, wahr war, daß die Toten lebendig waren und die Vermißten wieder zurückkehrten, daß alle diese Leben weiter gelebt werden konnten. Und dann betete ich für meine Mutter und meine Schwester, für meine Onkel und Tanten, für die Freunde, die ich hatte, die guten wie die schlechten, und zum Schluß für meinen Vater, wo immer er auch war, Amen.
    Ich saß eine Weile mit gesenktem Haupt da, faltete die Hände, horchte auf die Geräusche im Haus und auf mein Herz, nahm das eine für das andere.
    Nach einer Weile stand ich wieder von Jeanettes Bett auf, schloß die Tür hinter mir, ging zurück ins Schlafzimmer zu dem Schaden, den ich dort angerichtet haue. Ich hob die Daunendecken auf, schob die Schubladen wieder in die Kommode, hob Paulas Make-up und ihre Unterwäsche auf, ihre Tampons und ihren Schmuck, schob die Scherben des Spiegels mit dem Schuh zusammen und stellte den Stuhl wieder hin.
    Dann ging ich die Treppe hinunter in die Küche, hob den Mülldeckel auf, schloß alle Schränke und Türen und dankte Gott dafür, daß niemand die verdammten Bullen gerufen hatte. Ich stellte den Wasserkocher an und brühte mir eine Tasse Tee mit Milch und fünf Stück Zucker. Ich nahm den Tee mit ins Wohnzimmer, schaltete die Glotze ein und schaute zu, wie weiße Krankenwagen durch die schwarze Nacht bretterten und Bombentote und Verwundete hierhin und dorthin karrten, während sich ein blutiger Nikolaus und ein höherer Polizist fragten, welcher Mensch nur so etwas tun könne, und dann noch so kurz vor Weihnachten.
    Ich zündete mir eine Zigarette an, schaute mir die Fußballergebnisse an, verfluchte Leeds United und fragte mich, welches Spiel sie wohl beim Match of the Day zeigen würden und wer Gast bei Parkinson sein würde.
    Es klopfte an der Vorderscheibe, dann an der Tür, und ich erstarrte plötzlich, als mir einfiel, wo ich war und was ich getan hatte.
    »Wer ist da?« fragte ich, erhob mich und stand mitten im Zimmer.
    »Clare. Wer ist denn da?«
    »Clare?« Mein Herz raste mit 145 km/h, ich schob den Riegel beiseite und öffnete die Tür.
    »Ach, Sie sind’s, Eddie.«
    Mein Herz blieb stehen. »Ja.«
    Die schottische Clare fragte: »Ist Paula da?«
    »Nein.«
    »Ach. Ich hab’ Licht gesehen und dachte, sie müßte wieder zurück sein. Tut mir leid«, sagte die schottische Clare lächelnd und blinzelte ins Licht.
    »Nein, sie ist noch nicht zurück, tut mir leid.«
    »Macht nichts. Ich seh’ sie ja morgen.«
    »Ja. Ich sag’ ihr Bescheid.«
    »Alles in Ordnung, mein Lieber?«
    »Bestens.«
    »Okay. Bis dann.«
    »Gute Nacht«, sagte ich, und als ich die Tür schloß, ging mein Atem flach und schnell.
    Die schottische Clare sagte noch etwas, das ich nicht mehr mitbekam, dann verhallten ihre Schritte auf der Straße.
    Ich setzte mich wieder aufs Sofa und starrte das Schulphoto von Jeanette Garland oben auf dem Fernseher an. Daneben lagen zwei Karten, eine davon zeigte eine Holzhütte in einem schneebedeckten Wald, die andere war weiß.
    Ich nahm Johnny Kellys weiße Einladung von Donald Foster aus der Tasche und ging zum Fernseher.
    Ich schaltete Max Wall und Emerson Fittipaldi aus und verschwand in der stillen Nacht.
     
    Zurück zu den großen Häusern.
    Wood Lane, Sandal, Wakefield.
    Die Straße war mit PKW’s zugeparkt. Ich bahnte mir einen Weg durch all die Jaguars und Rovers, Mercedesse und BMWs.
    Trinity View, hellerleuchtet und festlich geschmückt.
    Im Vorgarten stand ein riesiger Weihnachtsbaum, der vor Lichtern und Lametta nur so strahlte.
    Ich ging die Auffahrt hinauf zu der Party und folgte den widerstreitenden Melodien von Johnny Mathis und Rod Stewart.
    Diesmal stand die Haustür offen. Ich verweilte einen Augenblick in der Türöffnung und sah

Weitere Kostenlose Bücher