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1974

1974

Titel: 1974 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Peace
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gesagt?«
    Kelly drückte seine Zigarette aus. »Ich hab’ nicht auf ihn gewartet, um das herauszufinden.«
    »Und dann sind Sie hierhergekommen.«
    »Ich mußte mal für ‘ne Weile aus dem Verkehr. Mich unsichtbar machen.«
    »Er weiß, daß Sie hier sind?«
    »Klar weiß er das«, sagte Kelly und fuhr sich übers Gesicht. Er nahm eine weiße Karte vom Resopaltisch und warf sie mir zu.
    »Der Mistkerl hat mir sogar eine Einladung zu seiner bescheuerten Weihnachtsparty geschickt.«
    »Wie hat er Sie denn aufgespürt?« fragte ich und versuchte, die Karte im Dunkeln zu entziffern.
    »Die Wohnung gehört ihm.«
    »Und warum bleiben Sie dann hier?«
    »Na ja, genaugenommen kann er das Maul eh nicht aufmachen, oder?«
    Ich hatte das Gefühl, als hätte ich gerade etwas ganz Wichtiges, etwas ganz Furchtbares überhört. »Ich verstehe nicht.«
    »Seit ich siebzehn bin, vögelt er jeden Sonntag meine Schwester.«
    Das ist es nicht, dachte ich noch.
    »Nicht, daß ich mich beklagen will.«
    Ich blickte auf.
    Johnny Kelly sah zu mir herunter.
    Das ganz Wichtige, ganz Furchtbare war mir wieder eingefallen.
    Das Zimmer war dunkel, der Gaskamin hell.
    »Schau nicht so schockiert, Kumpel. Du bist nicht der erste, der ihr helfen wollte, und du wirst nicht der letzte sein.«
    Ich stand auf, das Blut in meinen Beinen kalt und klamm.
    »Na, gehst du auf die Party?« fragte Kelly grinsend und zeigte auf die Einladung in meiner Hand.
    Ich drehte mich um, ging den schmalen Flur entlang und dachte, ich scheiß auf euch alle.
    »Und vergiß nicht, ihnen fröhliche Weihnachten von Johnny Kelly auszurichten, okay?«
    Ich dachte, scheiß auf euch alle.
     
    Hallo, wie geht’s?
    Supermarkt.
    Zehn Sekunden später saß ich wieder im Wagen, hatte mein letztes Geld in Flaschen und Tüten angelegt, im Radio detonierte eine Bombe im Harrods, im Aschenbecher lag eine Zigarette, eine andere hatte ich in der Hand, und ich zog ein paar Pillen aus dem Handschuhfach.
    Ich fuhr besoffen Auto.
    145 km/h, ich hielt mir die Whiskyflasche an den Hals, warf mir Beruhigungsmittel und Aufputschmittel ein, verdrängte Mädchen aus dem Süden und "Wohnungen mit Meeresblick, pflügte durch die Kathryns und Karens und all die anderen, die es vor ihnen gegeben haue, jagte Bremslichter und kleine Mädchen, zerrieb die Liebe unter meinen Rädern, durchwühlte sie mit dem Profil der Reifen.
    Ich war der Führer in einem selbstentworfenen Bunker und schrie: » ICH HAB NOCH NIE IRGENDWAS BÖSES GETAN !«
    Mi, Vollgas, ich sog die Nacht, die Bomben und ihre Splitter durch die Einlaßstutzen in meinen Wagen und durch die Zähne in den Mund, brauchte, suchte und fluchte nach einem letzten Kuß, nach der Art, wie sie redet und wie sie geht, flehte zum Himmel, ohne IHM ein Geschäft vorzuschlagen, flehte um Liebe ohne Hintergedanken, flehte, daß sie wieder leben sollte, leben sollte, HIER
    JETZT FÜR MICH.
    Mit sanften Tränen und steifem Schwanz donnerte ich über sechs Spuren voller Scheiße und stellte fest ICH HAB NOCH NIE IRGENDWAS G UTES GETAN
    Radio 2 verstummte plötzlich, der weiße Motorway wurde plötzlich golden, Männer in Lumpen, Männer mit Kronen auf den Häuptern, ein paar Männer mit Flügeln, andere ohne, und ich mußte hart bremsen, um nicht eine Krippe aus Holz und Stroh niederzumähen.
    Dann stand ich auf dem Bankett, Warnblinklicht an.
    Bye-bye Love.
     
    11 Brunt Street, alles dunkel.
    Das Quietschen der Bremsen hätte Tote wecken können; ich sprang aus dem grünen Viva und versuchte, die rote Tür einzutreten.
    11 Brunt Street, hintenrum.
    Um die Häuser herum, über die Mauer, den Mülleimerdeckel durch die Küchenfensterscheibe; beim Einsteigen nahm ich mit der Jacke ein paar Scherben mit.
    Liebling, ich bin zu Hause.
    11 Brunt Street war totenstill.
    Drinnen dachte ich, wenn ich zu dir nach Hause komme, werde ich dir zeigen, was ich kann, und zog ein Messer aus der Küchenschublade (wo ich es vermutet hatte).
    Ist es das, was du wolltest?
    Ich stürmte die steile, steile Treppe hinauf ins Schlafzimmer, schleuderte die Daunendecken zu Boden, riß die Schubladen heraus, warf den ganzen Müll durch die Gegend, Make-up und billige Schlüpfer, Tampons und falsche Perlen, sah Geoff, der sich die Schrotflinte in den Mund steckte, dachte, KEIN WUNDER , VERDAMMT , deine Tochter tot, deine Frau eine Nutte, die den Chef ihres Bruders vögelt und was nicht sonst noch alles, schleuderte einen Stuhl in den Spiegel, WEIL ES EINFACH KEIN GRÖSSERES PECH

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