198 - In der Spiegelwelt
verzerrte, daß ich meinen Freund kaum noch erkannte.
Ein Schatten wischte über die Terrasse, ich hörte ein Mädchen schreien, sprang auf und fuhr herum. Noel griff zur Waffe, ich ebenfalls.
»Cayooda!« brüllte der CIA-Agent.
Im selben Moment fiel etwas vom Himmel.
Ein Mädchen!
Ich sah einen riesigen Adler und fing an zu schießen. Der Vogel bombardierte uns mit éinem Mädchen ! Noel und ich feuerten, was das Zeug hielt, aber Cayooda war verdammt schnell.
Er sauste über das Haus des Millionärs hinweg und war nicht mehr zu sehen. Jetzt erst stürzte das schreiende Mädchen ins Schwimmbecken.
»Kümmere dich um sie!« rief ich meinem Freund zu und hetzte am Haus vorbei. Sobald ich den Vogal sah, schoß ich wieder, doch Cayooda war schon außer Reichweite der Kugeln.
Ich zerbiß einen Fluch zwischen den Zähnen, rammte den Colt Diamondback in die Schulterhalfter und kehrte um. Noel Bannister war ins Wasser gesprungen. Ich half ihm, das Mädchen herauszuziehen. Sie hustete, schrie und schluchzte, war so hysterisch, daß sie nicht begriff, daß sie gerettet war und nichts mehr zu befürchten hatte.
»Komm, tragen wir sie ins Haus«, keuchte Noel.
Als wir das Mädchen anfaßten, wurden seine Schreie schrill, und es schlug und trat wie von Sinnen um sich.
Wir redeten geduldig und mit Engelszungen auf das Girl ein, und als keine Gefahr mehr bestand, daß es uns mit wilden Tritten verletzte, brachten wir es ins Haus.
»Sie braucht einen Arzt«, sagte ich.
Noel begab sich zum Telefon, und ich suchte und fand eine Decke, die ich auf das zitternde nasse Mädchen legte. Auch Noel war klatschnaß. Er zog sich rasch um, und ich versuchte inzwischen herauszubekommen, wie das verstörte Mädchen - das Ornella Fabrizi hieß, wie ich bereits wußte - in die Gewalt des Geiers gelangt war. Stockend erzählte mir die Sizilianerin ihre Geschichte, die sich so unglaublich anhörte, daß sie nicht erfunden sein konnte.
Noel gab telefonisch Anweisung, Aldo Montini zu bestellen, daß es seiner Kusine gutgehe und wo er sie abholen könne.
Dann kam er zu Ornella und mir. Das Mädchen aus Palermo war still geworden und hatte Vertrauen zu uns gefaßt.
»Ein Arzt wird Sie untersuchen und Ihnen ein kreislaufstärkendes Mittel injizieren«, kündigte Noel an. »Und wenn der Doc erlaubt, dürfen Sie mit Mr. Montini heimfahren. Er befindet sich ebenfalls auf dem Weg hierher.«
Ornella sah uns mit flatternden Lidern an. »Dieses Erlebnis werde ich nie vergessen. Es war grauenvoll. Ich dachte, meine letzte Stunde hätte geschlagen. Woher kommt dieser mächtige Adler?«
»Das wüßten wir auch gern«, antwortete Noel. »Auf jeden Fall wird man ihn unschädlich machen, keine Sorge.«
Der Doktor traf ein. Wir ließen ihn mit dem Mädchen allein. Außer ein paar unbedeutenden Kratzern konnte er zum Glück keine Verletzungen feststellen.
Völlig aufgelöst erschien Aldo Montini, aber wir konnten ihn beruhigen.
Bald waren wir wieder allein. Ich musterte Noel ernst und fragte: »Was hältst du von der ganzen Sache?«
»Das war einer von Cayoodas grausamen Späßen. So sieht seine Art aus, sich über uns lustig zu machen. Er warf das Mädchen in den Pool, um uns zu zeigen, daß wir unter Beobachtung stehen, daß er bestens über uns Bescheid weiß. Dieser verdammte Bastard tanzt uns auf der Nase herum, Tony.«
***
Larry Burnetts Bude befand sich in Queens. Es war ein einziger großer, fensterloser Raum, in dem vor ein paar Jahren Unverarbeitete Pelze gelagert worden waren. An Stelle von Möbeln standen überall leere Obstkisten herum.
»Gepennt wird auf dem Fußboden«, erklärte Larry und rollte zwei zusätzliche Matratzen auf.
Daß er hier nicht im Waldorf-Astoria wohnen würde, war Holger Altmann schon klar gewesen, aber im Vergleich zu Larrys trister Behausung lebte Holger in Gelsenkirchen geradezu in einem Palast.
Larry sah die langen Gesichter der Gruftie-Freunde. »Ich weiß, die Bude ist nicht gerade das Gelbe vom Ei, aber ich habe ein Dach überm Kopf, bin allein, und niemand macht mir Vor-Schriften. Dafür nehme ich schon einiges in Kauf.«
Er breitete einen zerfledderten Stadtplan auf dem schmutzigen Boden aus. »Hier wohne ich, und das da ist der Mount Zion Cemetery. Luftlinie nicht mal ein Kilometer.«
»Machen wir’s so, wie wir es auf dem Flug hierher besprochen haben?« fragte Kevin.
»Logo«, erwiderte Larry. Er sah Holger an. »Oder hast du eine bessere Idee?«
»Leider nicht«, antwortete der
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