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1981 - Richard

1981 - Richard

Titel: 1981 - Richard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Zeram
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auskannten und der Maschine nicht einfach entgegen rannten. Erst als die Passagiere den Hubschrauber verließen, kam Bewegung in die kleine Gruppe. Ein Mann von vielleicht dreißig Jahren begrüßte erst die Männer und zum Schluss Florence. Er war der Sohn des Bauern, der heute nach Nuku Hiva ins Krankenhaus geflogen werden sollte. Der Bauer selbst war noch im Wohnhaus. Bevor der Krankentransport jedoch losgehen konnte, wurden alle zu einem üppigen Mittagessen eingeladen, das schon vorbereitet war. Hinter dem Wohnhaus, auf einer Art Terrasse, war ein Buffet aufgebaut. Den Gästen wurden Plätze zugewiesen. Als erstes wurden sie mit Getränken versorgt. Georg fragte nicht was gereicht wurde. Er begann einfach zu trinken und zu essen.
    »Bist du der Doktor, der meinen Opa aufschneidet?«, fragte ihn ein kleines Mädchen, das neben ihm saß.
    Er verneinte und die Kleine war enttäuscht. An dem Mittagstisch fiel Georg auch eine sehr alte Frau auf. Sie musste die Großmutter oder Urgroßmutter des Klans sein. Als Georg fragte, rühmte der Sohn des Bauern seine Großmutter als weise Frau.
    »Meine Großmutter ist am 8. Mai im Jahr des Herrn 1903 geboren, genau an dem Tag und zu der Uhrzeit, als der berühmte Paul Gauguin auf der Insel Hiva Oa gestorben ist.«
    Georg stieß Florence an, die neben ihm saß. »Woher wissen die das so genau, hier gibt es ja nicht einmal elektrischen Strom, oder doch?«, flüsterte er ihr zu.
    Florence lächelte und zuckte mit den Achseln. Die Alte prostete Georg zu.
    »Los, gehen sie hin und setzten sie sich neben sie, das ist der Respekt, den man alten Leuten hier entgegenbringt«, forderte Florence ihn auf.
    Georg sah Florence an, als wenn er nicht verstanden hatte, erhob sich aber und ging hinüber zu der Alten. Ein Kind machte ihm unaufgefordert Platz und er setzte sich zu der Großmutter. Sie begann sofort auf ihn einzureden, aber er konnte ihr Polynesisch nicht verstehen. Georg blickte hilflos hinüber zum Sohn des Bauern.
    »Sie hat gesagt, dass sie im Leib ihrer Mutter lebte, als der große französische Maler auf die Seepferd-Insel kam«, übersetzte er.
    »Hiva Oa ist die Seepferd-Insel, weil ihre Form einem Seepferd ähnelt«, erklärte Florence. Sie war ebenfalls aufgerückt und hatte sich neben Georg gesetzt.
    Georg nickte. Er wusste, dass es nicht stimmen konnte. Gauguin war bereits Mitte 1901 nach Hiva Oa gekommen. Eine fast zweijährige Schwangerschaft, das gab es auch auf den Marquesas nicht. Er protestierte aber nicht.
    »Können sie Ihre Großmutter fragen, ob sie sich noch an die französischen Kolonialangehörigen erinnern kann«, bat Georg den Sohn des Bauern.
    Die Alte hatte aber anscheinend Georgs Französisch verstanden. Sie begann sofort in ihrer Sprache zu antworten. Georg sah wieder fragend zu ihrem Enkel.
    »Sie sind immer noch da«, übersetzte er. »Sie tragen aber keine Uniformen mehr, oder nur einige von Ihnen, jedenfalls nicht alle und einige haben schon die Gesichter der Menschen vom Land der Männer.«
    »Die Marquesas werden von den Polynesiern auch als Land der Männer bezeichnet«, gab Florence erneut eine Erklärung.
    Jetzt verstand Georg was die Alte meinte. Er überlegte, längst gab es in der Verwaltung der Inseln und sicherlich auch in ganz Polynesien nicht ausschließlich nur Beamte, deren Vorfahren aus Frankreich stammten. Die Kolonialzeit war lange vorüber, aber immer noch in den Köpfen der Menschen, vor allem der Alten.  
    »Kennen sie Julie des Bois?«, fragte Georg unvermittelt.
    Er hatte diese Frage nicht geplant. Es war eine spontane Eingebung und es sollte eigentlich nur ein Scherz sein. Er sah zu Florence, sie lächelte und schüttelte nur den Kopf. Die Alte hatte Georg aber anscheinend verstanden. Sie wurde plötzlich richtig munter und begann lebhaft zu erzählen. Ab und zu wiederholte sie den Namen Julie. Als sie geendet hatte wandte sich Georg wieder dem Enkel zu.
    »Sie sagt, dass Julie noch immer in ihrem Herzen sei«, übersetzte der Enkel. »Und dass Julie das Land am Meer gehört, wie es der Stein bekundet und dass dort nichts angebaut wird, wenn sie es nicht bestimmen würde. Das Land gehört ihr, seit mehr als achtzig Jahren.«
    »Was ist Julie? Eine Gottheit?«, fragte Georg, in der Annahme, dass die Julie, die er meinte mit irgendeinem Ritus, der hier auf der Insel praktiziert wird, verwechselt wurde.
    »Julie des Bois war ein normaler Mensch, keine Gottheit«, antwortete der Enkel. »Sie hat vom Bruder meiner Großmutter

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