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1981 - Richard

1981 - Richard

Titel: 1981 - Richard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Zeram
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Wohnzimmertisch.
    »Oh, was ist das?«, fragte Georg.
    »Ein Wandschmuck. Den haben wir auch im Haus gefunden. Anfangs hat er mir noch gut gefallen. Ich habe ihn sogar im Flur aufgehängt, aber dann fand ich ihn irgendwann zu kitschig und habe ihn zusammen mit den Fotos in dem Kasten hier verwahrt.«
    Georg betrachtete sich die Kokosnussschale. Madame LaRosa schwieg einige Sekunden und holte dann die Fotografien aus dem Blechkasten. Die Aufnahmen waren wohl lange vor 1970 entstanden. Viele in schwarz-weiß, nur einige wenige Farbaufnahmen, die dem Kontrast zu urteilen aber auch schon älter zu sein schienen. Zuoberst lag eine Aufnahme, die eine ältere Frau mit zwei kleinen Kindern zeigte. Sie saßen auf einer Bank und lächelten wie auf Kommando in die Kamera.
    »Ist sie das«, fragte Georg und zeigte auf das Foto.
    Madame LaRosa drehte den Blechkasten, sah hinein und schüttelte den Kopf. »Wer diese Frau ist weiß ich nicht, es ist aber nicht Madame Pallet.« Madame LaRosa nahm das Foto heraus und drehte es um. »Es ist nicht beschriftet, es sind nicht alle beschriftet.«
    Madame LaRosa legte das Bild wieder zurück und kramte nach einer anderen Fotografie. Sie fand was sie suchte und zeigte es Georg.
    »Das ist Madame Pallet«, sagte sie. Sie drehte das Foto kurz um. Auf der Rückseite hatte jemand mit krakeliger Handschrift die Worte Madame Pallet vor dem Geschäft, 19. Februar 1968 geschrieben. Die Aufnahme zeigte eine alte Frau in einem dicken Mantel. Sie stützte sich auf einen Stock und stand da, wie ausgerichtet. Im Hintergrund war ein Fotogeschäft zu sehen. Das Schaufenster war mit zahlreichen Aufnahmen dekoriert. Die Motive der Bilder im Schaufenster ließen sich sogar erkennen. Hochzeitsbilder, Aufnahmen von Kindern und Gruppen von Menschen, vielleicht auf einem Betriebsausflug entstanden oder bei einem Vereinstreffen. Georg sah sich die alte Frau an. Er glaubte kurz, sie schon einmal gesehen zu haben.
    »Wie alt ist sie geworden«, fragte er.
    Madame LaRosa antwortete nicht gleich, sondern suchte in dem Kasten nach etwas. Sie holte schließlich einen Zeitungsausschnitt hervor, eine Auflistung von Namen.
    »Freunde von mir haben dies hier gefunden«, erklärte sie, »in einem Haufen alter Zeitungen, die jahrelang auf ihrem Dachboden lagen. Zufälle gibt es«, sinnierte sie kurz. »Madame Pallet ist ja gestorben, lange bevor wir überhaupt daran gedacht haben, das Haus zu kaufen. Es gab natürlich keine Todesanzeige. Aber es wird in irgendeiner Zeitung einmal die Woche abgedruckt, wer auf den Friedhöfen hier in Paris beerdigt wurde. Sie wurde wohl verbrannt und man hat die Urne anonym beigesetzt.«
    Sie hielt Georg den Ausschnitt hin und zeigte auf eine Zeile auf der Seite. Dort stand nur der Name Thérèse Pallet und die Jahreszahlen ihres Lebens, 1895 bis 1976, keine Angaben zu Tag und Monat. Die Zeitungsseite war vollständig und trug in der Kopfzeile den Titel einer regionalen Pariser Tageszeitung und das Datum des Erscheinens. Es war der 23. Juli 1976, einem Freitag. Über und unter dem Namenseintrag von Thérèse Pallet waren weitere Personen aufgelistet, immer ein Name pro Zeile, in vier Spalten aufgeteilt. Über dem ersten Namen der Auflistung, stand ebenfalls ein Datum, vermutlich der Tag der Beerdigung, all der Menschen, die darunter aufgeführt waren. Fast am Ende der Seite begann eine neue Auflistung, die diesmal aber mit dem Namen des Friedhofs und dann erst mit dem Datum begann. Auf welchen Friedhof Thérèse Pallet ruhte, musste auf einer der vorherigen Zeitungsseiten gestanden haben. Die Seiten fehlten jedoch. Madame LaRosa hatte aber anscheinend nur dieses eine Blatt.
    »Sie wissen nicht, auf welchem Friedhof sie beerdigt wurde«, fragte Georg aber trotzdem.
    Sie nahm die Zeitungsseite und zeigte auf den unteren Rand. Georg versuchte es zu entziffern. Es war eine Fußnote: Cimetière de Rueil.
    »Der Friedhof liegt etwas außerhalb, noch weit hinter dem Bois de Bologne«, erklärte Madame LaRosa.
    »Sie ist doch recht alt geworden, über achtzig, wenn jemand so alt wird, kann es sein, dass zum Schluss niemanden mehr da ist«, sagte Georg. Er starrte kurz auf die Zeitungsseite und blickte dann wieder auf.
    Madame LaRosa nickte. »Mehr weiß ich leider nicht von ihr. Hier ist noch ein Brief und eine Postkarte, die sie bekommen hat, aber da werden keine Kinder, Enkel, Nichten oder Neffen erwähnt, sonst hätten die Behörden das Haus nicht versteigern müssen. So bewahre ich die Sachen

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