1981 - Richard
Bus, einem richtigen Omnibus aus den fünfziger oder sechziger Jahren. Ein Bild zeigte sie auch noch vor einer Möbelhandlung. Neben ihr stand eine Frau, deren linker Arm fehlte. Kein Bild machte den Eindruck, als wenn es Verwandte oder ein Familie zeigte. Die jüngsten Bilder mochten Anfang der siebziger Jahre aufgenommen worden sein.
»Darf ich mir auch einmal die Schriftstücke ansehen?«, fragte Georg.
Madame LaRosa nickte, als wenn sie auf diese Frage gewartet hätte. Sie hatte bereits ein zusammengefaltetes Blatt Papier aus dem Blechkasten genommen. Sie reichte es Georg. Schweigend überflog er den Brief. Eine Freundin, es muss eine Freundin gewesen sein, berichtete über Rückenschmerzen und dass sie zum Arzt gefahren sei. Der ganze Brief handelte von ihren Leiden, es war wenig ergiebig. Am Ende des Briefes hatte sie mit dem Namen »Adèle« unterschrieben. Schade, dachte Georg, ein Name, ein vollständiger Name oder sogar eine Adresse, hätten ein neuer Hinweis sein können.
»Haben sie noch einen Briefumschlag?«, fragte er, in der Hoffnung, diesen Hinweis doch noch zu erhalten.
Madame LaRosa schüttelte den Kopf. »Der Brief lag einfach nur so in dem Kasten, zwischen den Fotografien.«
Sie blickte in den Blechkasten hinein und suchte nach etwas. Georg dachte im ersten Augenblick, dass es ein weiteres Foto sei. Doch es war kein Foto, sondern eine Postkarte. Sie reichte Georg die Karte. Es war eine sehr alte Postkarte. Erst schaute er sich das Ansichtsbild an, dann drehte er die Karte um. Der Poststempel war von 1913, vom 24. November 1913. Die Postkarte war an Thérèse Pallet geschrieben, mit der Adresse in Paris, der 88 Rue Mandar, in der er sich jetzt und hier befand. Georg sah sich noch einmal die Bildseite der Postkarte an. Sie zeigte einen Park, in dem neben einigen kleineren Gebäuden ein großes, breit angelegtes Anwesen stand. Auf der Fotographie war der Park am rechten unteren Bildrand durch einen Wald begrenzt. Es konnte aber auch lediglich eine kleine Schonung sein. Die Postkarte zeigte nur ein kleines schwarzes Dreieck, aus dem einige Baumkronen hervorstachen. Erst beim genauen hinsehen, erkannte er eine Linie, einen Pfeil, der in die Fotografie der Postkarte eingezeichnet war. Der Pfeil zeigte genau auf das schwarze Walddreieck. Die Postkarte trug die Aufschrift » Sanatorium pour des dermatoses, Allaire, France«. Georg drehte die Karte wieder um und betrachtete die beschriebene Seite. Sie war mit einer roten Briefmarke versehen. Der Poststempel war schwarz und leicht verlaufen. Genauso fein wie die Anschrift war auch die Nachricht auf der linken Kartenseite geschrieben. Er las sich den Text durch.
Meine liebe Thérèse,
heute bin ich auf der Kutsche zum Sanatorium mitgefahren. Ich habe diese Karte gekauft. Ich habe dir eingezeichnet, wo ich sie geboren habe. Ich habe noch einmal meinen ganzen Spaziergang gemacht, wie damals. Ach, ich hätte es so gern meiner Julie gezeigt. Am Abend haben einige Patienten das Sanatorium verlassen und ich konnte in einer Droschke mit zurückfahren. In wenigen Tagen will ich wieder in Paris sein.
Yvette, A.F. 24. November 1913
Als Georg den Namen Julie las, wurde er aufmerksam. Der erste Brief aus dem Nachlass von Thérèse Pallet mochte für seine Sache unbedeutend sein, aber diese Postkarte hier, enthielt eine Information, die ihn weiterbringen konnte. Eine Frau namens Yvette hatte eine Postkarte aus einem Sanatorium geschickt, von einem Ort namens Allaire. Dieser Ort lag irgendwo in Frankreich und diese Yvette schrieb etwas über die Geburt ihrer Tochter Julie. War es die Julie, fragte sich Georg.
»Wissen sie, wer Yvette ist?«
Madame LaRosa hatte die ganze Zeit geschwiegen, während er sich die alte Postkarte genauer ansah. Auf seine Frage hin schüttelte sie den Kopf.
»Ich weiß es nicht, vielleicht eine Freundin, vielleicht Madame Pallets Schwester.«
»Hatte sie eine Schwester?«, fragte Georg überrascht.
»Das weiß ich nicht, ich habe es nur vermutet«, antwortete Madame LaRosa schnell. »Ich habe mir die Nachricht auf der Postkarte oft durchgelesen, es klingt etwas merkwürdig, aber sicher wussten Madame Pallet und diese Yvette schon, worum es ging.«
Georg nickte. »Wissen sie, wo der Ort Allaire liegt?«
Madame LaRosa erhob sich und ging zur Schrankwand in ihrem Wohnzimmer. »Ich habe es vor langer Zeit einmal nachgeschlagen«, sagte sie, während sie in dem Schrank nach etwas suchte. »Ich habe es aber wieder
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