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1984 (Kurt Wagenseil: Übers.)

1984 (Kurt Wagenseil: Übers.)

Titel: 1984 (Kurt Wagenseil: Übers.) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
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bei ihrem Kampf aufgegangen waren, wurde, mit Füßen und Händen um sich schlagend und schreiend, von vier Wachen hereingetragen, die sie jeder an einem Ende festhielten. Sie rissen ihr die Schuhe herunter, mit denen sie ihnen Tritte zu versetzen versuchte, und schleuderten sie Winston in den Schoß, so daß ihm fast die Schenkelknochen brachen. Die Frau rappelte sich hoch und schrie ihnen »Verfluchte Sauhunde!« nach. Dann, als sie merkte, daß sie auf etwas Unebenem saß, rutschte sie von Winstons Knien herunter auf die Bank.
    »Verzeihung, mein Schatz«, sagte sie. »Ich hätte mich nicht auf Sie gesetzt, aber die Kerls schmissen mich da hin. Sie wissen nicht, wie man eine Dame behandelt.« Sie brach ab, tätschelte ihre Brust und rülpste.
    »Verzeihung«, sagte sie, »ich hab' noch nicht alle Sinne beieinander.«
    Sie beugte sich vor und erbrach sich ausgiebig auf den Fußboden.
    »So ist's besser«, sagte sie und lehnte sich mit geschlossenen Augen zurück. »Nie es drunten lassen, sag' ich immer. Raus damit, solange es noch frisch im Magen ist.« Sie kam wieder zu sich, drehte sich um, um nochmals einen Blick auf Winston zu werfen, und schien sofort eine Vorliebe für ihn zu fassen. Sie legte einen dicken Arm um seine Schulter und zog ihn näher zu sich, wobei sie ihm Bierdunst und den Geruch von Erbrochenem ins Gesicht atmete.
    »Wie heißt du, Schatz?« sagte sie.
    »Smith«, antwortete Winston.
    »Smith?« sagte die Frau. »Das is' komisch. Ich heiße auch Smith. Denk mal«, fügte sie sentimental hinzu, »ich könnte deine Mutter sein.«
    Ja, dachte Winston, sie könnte seine Mutter sein. Sie war ungefähr im gleichen Alter und von entsprechender Körpergröße, und es war wahrscheinlich, daß sich die Menschen nach zwanzig Jahren in einem Zwangsarbeitslager einigermaßen veränderten.
    Sonst hatte niemand mit ihm gesprochen. In erstaunlichem Maße ignorierten die gewöhnlichen Verbrecher die Partei-Häftlinge. »Die Politischen« nannten sie sie mit einer Art uninteressierter Verachtung.
    Die Partei-Häftlinge schienen Angst zu haben, mit jemand zu sprechen, und vor allem, miteinander zu sprechen. Nur einmal, als zwei Parteiangehörige, beides Frauen, auf der Bank eng aneinandergepreßt wurden, hörte er zufällig in dem allgemeinen Stimmengewirr ein paar hastig geflüsterte Worte, und zwar war es eine Anspielung auf etwas, das als »Zimmer eins-null-eins« bezeichnet wurde, was er nicht verstand.
    Es mochte zwei oder drei Stunden her sein, daß man ihn hierher gebracht hatte. Der dumpfe Schmerz in seinem Magen hörte nicht auf, aber manchmal wurde es besser und dann wieder schlimmer, und seine Gedanken waren je nachdem in die weitere Zukunft oder nur auf den Augenblick gerichtet. Wenn er schlimmer wurde, dachte er nur an den Schmerz und an sein Verlangen nach Essen. Ließ er nach, so befiel ihn eine Panik. Es gab Augenblicke, in denen er die Dinge, die mit ihm geschehen würden, mit solcher Deutlichkeit voraussah, daß sein Herz raste und sein Atem stockte. Er fühlte die Schläge von Gummiknüppeln auf seinen schützend erhobenen Armen und eisenbeschlagene Stiefel gegen seine Schienbeine. Er sah sich auf dem Fußboden herumkriechen und zwischen eingeschlagenen Zähnen hervor um Gnade flehen. An Julia dachte er kaum. Er konnte sein Denken nicht auf sie konzentrieren. Er liebte sie und würde sie nicht verraten; aber das war nur eine Tatsache, die ihm so vertraut war wie die Regeln der Arithmetik. Er empfand keine Liebe für sie, und er fragte sich sogar kaum, was wohl mit ihr geschah.
    Häufiger dachte er an O'Brien, und zwar mit einer flackernden Hoffnung. O'Brien mußte wissen, daß er verhaftet worden war. Die Brüderschaft, hatte er gesagt, versuchte nie, ihre Mitglieder zu retten. Aber da war die Rasierklinge; sie würden die Rasierklinge schicken, wenn sie konnten. Er würde ungefähr fünf Sekunden Zeit haben, ehe die Wachen in die Zelle hereinstürmen konnten. Die Klinge würde mit schneidender Kälte in ihn eindringen, und sogar die Finger, die sie hielten, würden bis auf den Knochen durchgeschnitten werden. Alles hing von seinem hinfälligen Körper ab, der zitternd vor dem kleinsten Schmerz zurückschreckte. Er war nicht sicher, ob er die Rasierklinge benützen würde, sogar wenn sich ihm die Möglichkeit bot. Es war natürlicher, von einem Augenblick auf den anderen zu leben, weitere zehn Minuten Leben mit der Gewißheit hinzunehmen, daß ihn am Ende die Folterung erwartete.
    Manchmal

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