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1984 (Kurt Wagenseil: Übers.)

1984 (Kurt Wagenseil: Übers.)

Titel: 1984 (Kurt Wagenseil: Übers.) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
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Mädchen sind so, weißt du.«
    »Dieses elende Ding ist daran schuld«, sagte sie und riß die rote Schärpe der Jugendliga gegen Sexualität herunter und schleuderte sie über einen Zweig. Dann, als habe sie das Berühren ihrer Hüften an etwas erinnert, suchte sie in den Taschen ihres Trainingsanzugs und brachte ein Täfelchen Schokolade zum Vorschein. Sie brach es in zwei Hälften und gab Winston ein Stück davon. Schon bevor er es genommen hatte, erkannte er am Geruch, daß es eine sehr ungewöhnliche Schokolade war. Dunkel und glänzend, und in Silberpapier eingewickelt. Schokolade war gewöhnlich ein stumpfbraunes bröseliges Zeug, dessen Geschmack, sofern man ihn überhaupt beschreiben konnte, dem Rauch eines Müllfeuers glich. Früher einmal hatte er allerdings Schokolade gekostet, von der gleichen Art wie das Stück, das sie ihm gab. Der erste Hauch ihres Duftes hatte eine Erinnerung in ihm geweckt, die er nicht festnageln konnte, die aber mächtig und beunruhigend war.
    »Wo hast du das her?« fragte er.
    »Vom schwarzen Markt«, sagte sie leichthin. »Eigentlich gehöre ich zu der Sorte Mädchen, bei denen der Schein trügt. Ich bin tüchtig im Sport. Ich war Truppenführerin bei den Spähern . Ich bin dreimal in der Woche ehrenhalber für die Jugendliga tätig. Ich habe Stunden um Stunden damit verbracht, ihre blödsinnigen Anschläge in ganz London anzukleben. Bei Umzügen trage ich ein Ende der Transparente. Ich sehe immer vergnügt aus und drücke mich vor nichts. Immer mit den Wölfen heulen, ist meine Parole. Es ist die einzige Möglichkeit, ungeschoren zu bleiben.«
    Das erste Stückchen Schokolade war auf Winstons Zunge zergangen. Es schmeckte vorzüglich. Aber immer noch rumorte an der Oberfläche seines Bewußtseins diese Erinnerung an etwas deutlich Empfundenes und doch nicht genau Umreißbares, wie ein Gegenstand, den man nur mit einem Augenwinkel erfaßt. Er schob diese Erinnerung von sich und war sich nur bewußt, daß sie einem Ereignis galt, das er gerne, doch vergeblich ungeschehen gemacht hätte.
    »Du bist sehr jung«, sagte er. »Du bist zehn oder fünfzehn Jahre jünger als ich. Was hat dich nur an einem Mann wie mich anziehen können?«
    »Es war etwas in deinem Gesicht. Ich dachte, ich sollte es wagen. Ich habe einen guten Blick dafür, wer nicht dazugehört. Sobald ich dich sah, wußte ich, daß du gegen sie bist.«
    Sie , stellte sich heraus, bedeutete in ihrem Munde die Partei und vor allem die Innere Partei, über die sie mit einem unumwunden höhnischen Haß sprach, der Winston ganz unsicher machte, obwohl er wußte, daß sie hier noch am ehesten in Sicherheit waren. Was ihn bei ihr verblüffte, war die Derbheit ihrer Sprache. Von Parteimitgliedern wurde erwartet, daß sie keine Flüche gebrauchten, und Winston selbst fluchte sehr selten, wenigstens nicht laut. Julia jedoch schien die Partei, und besonders die Innere Partei, nicht erwähnen zu können, ohne Worte von der Sorte zu gebrauchen, die man an modrigen Gassenmauern mit Kreide angeschrieben findet. Das war ihm nicht unangenehm. Es war lediglich ein Symptom ihrer Auflehnung gegen die Partei und entsprach ihrer ganzen Art; irgendwie schien es natürlich und gesund, wie das Schnauben eines Pferdes, das den Geruch von schlechtem Heu in die Nüstern bekommt. Sie hatten die Lichtung verlassen und wanderten wieder durch den von der Sonne gefleckten Schatten, die Arme umeinander gelegt, sooft der Weg breit genug war, um Seite an Seite zu gehen. Er merkte, wie viel weicher ihre Hüfte sich anzufühlen schien, seitdem die Schärpe fort war. Sie unterhielten sich nicht lauter als im Flüsterton. Außerhalb der Lichtung, sagte Julia, wäre es besser, beim Gehen zu schweigen. Nun waren sie an den Rand des Gehölzes gekommen. Sie blieb stehen.
    »Geh nicht aus der Deckung hinaus. Jemand könnte uns beobachten. Wir sind gut aufgehoben, solange wir hinter den Büschen bleiben.«
    Sie standen im Schatten von Haselnußsträuchern. Das durch die Blätter filternde Sonnenlicht war noch warm auf ihren Gesichtern. Winston blickte auf das drüben liegende Feld, und ein seltsames, leises Erschrecken des Wiedererkennens durchzuckte ihn. Er kannte es vom Sehen. Ein altes, abgemähtes Weideland mit einem Fußpfad, der quer hindurchführte, und da und dort ein Maulwurfshügel. In der unregelmäßigen Hecke an der anderen Seite wiegten sich die Zweige der Ulmen gerade noch wahrnehmbar in der leichten Brise, und ihre Blätter flirrten leise in

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