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1984

1984

Titel: 1984 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
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sie die Büsche und schlug rasch den schmalen Pfad ein, der in den Wald hineinführte. Offensichtlich hatte sie diesen Weg schon früher einmal begangen, denn sie wich mit Kennerschaft den morastigen Stellen aus. Winston ging hintendrein, noch immer seinen Blumenstrauß in der Faust. Sein erstes Gefühl war das der Erleichterung, aber als er den kräftigen, schlanken Leib vor sich hergehen sah, mit der scharlachroten Schärpe geschmückt, die gerade eng genug anlag, um die Rundung ihrer Hüften zu betonen, bedrückte ihn ein Minderwertigkeitsgefühl sehr heftig. Selbst jetzt schien es noch recht wahrscheinlich, daß sie, wenn sie sich umdrehte und ihn ansah, ihren Entschluß ändern würde. Die würzige Luft und das saftige Grün der Blätter schüchterten ihn ein. Schon auf dem Weg vom Bahnhof hatte er sich im Maiensonnenschein schmutzig und bleich wie eine Kellerpflanze gefühlt, wie ein rechter Stubenhocker, die Poren von dem Londoner Staub und Ruß verstopft. Es kam ihm zum Bewußtsein, daß sie ihn bis jetzt noch nie bei hellem Tageslicht unter freiem Himmel gesehen hatte. Sie kamen jetzt zu dem umgestürzten Baum, der von ihr erwähnt worden war. Das Mädchen sprang darüber hinweg und teilte mit einigem Kräfteaufwand das scheinbar lückenlose Gebüsch. Als Winston ihr nachkam, entdeckte er, daß sie auf einer natürlichen Lichtung standen, einem kleinen, von Tannenbäumchen vollkommen eingeschlossenen Stück Rasen. Das Mädchen blieb stehen und wandte sich um.
    »Wir sind da«, sagte sie.
    Er blickte sie an, mehrere Schritte von ihr entfernt stehen bleibend. Noch wagte er nicht, näher zu kommen.
    »Ich wollte in dem Unterholz nicht sprechen«, fuhr sie fort, »für den Fall, daß dort ein Mikrophon versteckt ist. Ich glaube es zwar nicht, aber es könnte doch sein. Es besteht immer die Möglichkeit, daß einer von diesen Schweinen unsere Stimme erkennt. Hier sind wir geborgen.«
    Er hatte noch immer nicht den Mut, näher an sie heranzutreten.
    »Ja, sind wir hier geborgen?« wiederholte er töricht.
    »Doch, schauen Sie die Bäume an.« Es waren junge Eschen, die vor einiger Zeit abgeholzt waren und jetzt wieder zu einem Wald dünner Stämme ausgeschlagen hatten, von denen keiner stärker war als ein Handgelenk. »Hier ist kein Stamm, der dick genug wäre, um ein Mikrophon darin zu verstecken. Außerdem war ich schon einmal hier.«
    Sie machten nur Konversation. Er war ihr jetzt näher gekommen. Sie stand sehr gerade aufgerichtet vor ihm, mit einem leise ironischen Lächeln um die Mundwinkel, als überlege sie, warum er eigentlich so lange brauche, zur Tat zu schreiten. Die Glockenblumen waren wie von selbst zu Boden gefallen. Er ergriff ihre Hand.
    »Würden Sie für möglich halten«, sagte er, »daß ich bis zu diesem Augenblick nicht gewußt habe, welche Farbe Ihre Augen haben?« Sie waren braun, stellte er fest, von einem ziemlich hellen Braun, mit schwarzen Wimpern. »Und können Sie, nachdem Sie gesehen haben, wie ich wirklich ausschaue, meinen Anblick noch ertragen?«
    »Ja, ohne weiteres.«
    »Ich bin neununddreißig Jahre alt. Ich habe eine Frau, die sich nicht scheiden läßt. Außerdem habe ich Krampfadern. Und fünf falsche Zähne.«
    »Das ist mir vollständig egal«, sagte das Mädchen.
    Im nächsten Augenblick – und es wäre schwierig gewesen zu sagen, wie es zugegangen war – lag sie in seinen Armen. Anfangs empfand er nichts als reine Ungläubigkeit. Der jugendliche Körper schmiegte sich an seinen, der dichte Schöpf ihres dunklen Haares lag vor seinem Gesicht; und nun hatte sie ihm das Gesicht zugewandt, und er küßte ihren üppigen roten Mund. Sie hatte die Arme um seinen Nacken geschlungen, nannte ihn Schatz, Liebling, Geliebter. Er hatte sie zu sich herab auf die Erde gezogen, sie war ganz Hingabe, er konnte mit ihr machen, was er wollte. Aber in Wahrheit hatte er keine körperliche Empfindung, außer der engen Verbundenheit. Alles, was er fühlte, war Staunen und Stolz. Er freute sich über das, was geschah, aber empfand kein körperliches Verlangen. War es, weil es so plötzlich kam, weil ihre Jugend und Anmut ihn erschreckten, weil er zu sehr daran gewöhnt war, ohne Frauen zu leben – er hätte den Grund nicht nennen können. Das Mädchen raffte sich auf und zupfte eine Glockenblume aus ihrem Haar. Sie setzte sich, eng an ihn geschmiegt, den Arm um seine Hüfte gelegt.
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    George Orwell – 1984
    »Mach' dir nichts draus, Liebster. Es hat keine Eile. Wir haben den ganzen

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